Zwei Stunden vor der Party zeigt das Fieberthermometer 39 Grad an. Schlapp im Bett liegen statt feiern – schon wieder. Solche seltsamen Fieberschübe hatte ich als 16-Jährige immer häufiger. Meist waren sie nach einem Tag wieder weg. Damals verwirrte mich das. Heute denke ich: kein Wunder. Als Teenager war ich oft wochenlang allein zu Hause. Nach der Schule kamen so gut wie jeden Tag Freundinnen und Freunde vorbei. Denn bei mir war ja immer „sturmfrei“. Ich mochte die Aufmerksamkeit, die ich dadurch bekam, und traute mich nicht, auch mal „Nein“ zu sagen. Nur, wenn ich fieberte, ruhte ich mich aus.
Für das, was ich als Teenager erlebt habe, kursiert heutzutage im Internet ein Begriff: Social Burn-out. Betroffene fühlen sich nicht wegen des Jobs, sondern wegen der Freizeit überlastet. Der häufige Kontakt zu Menschen erschöpft sie. Um eine offizielle medizinische Diagnose handelt es sich beim sozialen Burn-out nicht. Zwar ist das Burn-out-Syndrom im ICD-11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) aufgeführt, das Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen als Grundlage für ihre Diagnosen nutzen. Zu den Symptomen eines Burn-out-Syndroms zählen demnach Energiemangel, Zynismus und das Gefühl, nicht genug zu leisten. Allerdings endet die Definition mit dem Satz: „Burn-out bezieht sich speziell auf Phänomene im beruflichen Kontext und sollte nicht zur Beschreibung von Erfahrungen in anderen Lebensbereichen verwendet werden.“ „Selbstverständlich kann ein ‚Ausgebranntsein‘ auch im privaten Kontext entstehen. Diese Symptomatik würde man im klinischen Sinne jedoch nicht als Burn-out, sondern vielmehr als Probleme bezogen auf bestimmte Lebenskontexte ansehen“, erklärt die Psychotherapeutin Anke Pielsticker. Dass durch den Begriff soziales Burn-out das Burn-out-Syndrom aus dem Bereich Beruf auf die Freizeit übertragen wird, hält die stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung für „unpassend“.
Auch der Psychotherapeut Benedikt Waldherr steht dem Begriff kritisch gegenüber: „Ich bin generell ein Gegner von zu vielen Diagnosen und von Selbstdiagnosen“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten und fügt hinzu: „In manchen sozialen Netzwerken kann es sogar schick oder bedeutungssteigernd sein, auszubrennen oder psychische Probleme zu haben.“ Das sei ein Nebeneffekt der Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Grundsätzlich sei jeder Mensch gut damit beraten, auf die eigenen Grenzen zu achten – im Berufsleben genauso wie im Privaten. Ob eine psychische Erkrankung vorliegt und wie schlimm sie ist, müssten Psychiater, Psychiaterinnen, Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten feststellen. Diese Fachpersonen können im nächsten Schritt dann beim Gesundwerden helfen.
Was vorbeugend gegen ein soziales Burn-out helfen kann, beschreibt die klinische Psychologin Amelia Aldao auf der Onlineplattform „Psychology Today“. Ihre Strategien basieren auf der kognitiven Verhaltenstherapie. Ihren Patientinnen und Patienten rät Aldao, all ihre Aktivitäten und Aufgaben aufzulisten. Danach sollen sie sie in die Kategorien „Muss ich machen“, „Wäre schön, wenn es klappt“ und „Total anstrengend“ einordnen. „Ziel ist es, die meisten Dinge aus diesen Kategorien zu erledigen, erklärt die Psychologin. Wohlgemerkt, die meisten – und nicht alle. Denn es sei normal, dass nicht immer alles klappt. Zu selbstkritisch mit sich zu sein führe in eine Abwärtsspirale.