Ein Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Peine konnte den Storch einfangen und nach Leiferde (Kreis Gifhorn) ins Nabu-Artenschutzzentrum bringen. „Das Tier hat keine Anstalten gemacht, wegzufliegen“, berichtet Kabela. Es müsse ihm sehr schlecht gegangen sein.
Dieser Eindruck bestätigte sich in Leiferde. „Die Störchin hat Untergewicht und kann kaum stehen“, schildert Tierpfleger Paul Heintzen. Vermutlich habe der beringte Vogel über Tage nichts getrunken und nicht gefressen. Doch warum? „Vielleicht hatte sie einen Unfall mit einem Auto oder einer Hauswand, da kann man nur mutmaßen“, so Heintzen. Äußere Verletzungen habe das Tier nicht. Um sie wieder aufzupäppeln, wird der Störchin Infusionslösung gespritzt. Sie liegt in einer Box und wird gewärmt. „Das ist das Einzige, was man machen kann“, so Heintzen. Ob sie überlebt, sei unklar.
Auch der Peiner Storchenbeauftragte Danny Baumgart ist in dem Fall aktiv geworden: „Es hat sich herausgestellt, dass der Fall der Störchin noch eine dramatische Vorgeschichte hat.“ Denn Baumgart war am 12. Mai von Hermann Hagemann aus Vöhrum gerufen worden, da die dort im Nest ansässige Störchin nicht zu ihrer Brut zurückgekehrt war.
Hagemann (84), der an der Kirchvorderner Straße wohnt, beobachtet das Storchenpaar, das auf einem Holzmast auf dem Werkstattdach der Glaserei sein Quartier bezogen hat und Jahr für Jahr zur „Sommerfrische“ nach Vöhrum kommt, sehr genau. Ihn hat Hagemann „Laternus“ getauft, weil er die Vorliebe hatte, sich auf einen Laternenmast zu setzen und so eine gewisse lokale Berühmtheit erlangte. Sie trägt den Namen Wienhäuserin, nach ihrem Herkunftsort Wienhausen im Kreis Celle. „Das letzte Foto, das ich von den beiden habe, ist vom 6. Mai“, erzählt er. „Da waren sie mit der Brut beschäftigt.“ Am 11. Mai befielen ihn erste Zweifel, am 12. Mai wusste er mit Gewissheit, dass sich das Paar beim Brüten nicht abgewechselt hatte und folglich ein Storch fehlen musste.
Es stellte sich heraus, dass das männliche Tier allein auf dem Nest ausgeharrt hatte, um die Eier zu bebrüten. Das Weibchen blieb verschwunden. „Wir haben dann noch bis Sonntag gewartet, dann habe ich eingegriffen“, schildert der Storchenbeauftragte Danny Baumgart, der im Nest zwei geschlüpfte Junge und drei Eier im Schlupf vorfand und diese nach Leiferde ins Artenschutzzentrum brachte.
Vier der fünf kleinen Störche haben überlebt, sie werden nun per Hand aufgezogen und sitzen im Brutapparat, weil sie ihre Körpertemperatur noch nicht selbst halten können. Alle anderthalb Stunden werden sie mit kleinen Insekten und Innereien von Mäusen gefüttert. „Ihnen geht es gut“, versichert Tierpfleger Paul Heintzen. Wenn die jungen Störche groß genug sind, werden sie ausgewildert. Sie entscheiden selbst, wann sie wegfliegen und sich anderen Störchen anschließen. Inzwischen ist auch die abgemagerte Störchin anhand ihrer Ringnummer identifiziert worden. „Es handelt sich um die Störchin aus dem Vöhrumer Nest“, so der Storchenbeauftragte. Dass die Storchenmutter – sollte sich ihr Zustand bessern – ihre Kinder wieder annehme, sei ausgeschlossen.
Hermann Hagemann will das Schicksal „seiner“ Störche weiterverfolgen. „Ich habe fest vor, sie zu besuchen und ein kleines Pflegegeld zu hinterlassen“, sagt er. Und auch für „Laternus“ gab es eine Art Happy End: Nachdem er mehrere Tage lang erbittert alle anderen sich dem Nest nähernden Störche weggejagt hat, hat er nun eine neue Gefährtin gefunden – Terzia heißt sie und ist ihrem Namen nach nun die Dritte im Bunde.