Mit faustdicken Reifen steht es da auf seinem Podest, aufwendig gefedert, mit kraftvollem Antrieb, in glänzendem Blau. Und wenn Marco Allessandri zu erklären versucht, wie sich sein neues Premiummodell denn fährt, dann macht er gar nicht erst den Versuch, es mit einem Rad zu vergleichen. „Ist geeignet fürs Gelände, macht aber auch in der Stadt eine gute Figur.“ Folglich nennt er dieses E-Bike namens Goroc TR:X auch nicht Rad – sondern: „Ein SUV.“ Ein Rad als SUV zu bewerben, das ist eine eher verblüffende Strategie. Nur: Kann das gelingen? Dass mehr Deutsche beginnen, das Rad tatsächlich als vollwertiges Verkehrsmittel zu sehen? Es ist die zentrale Frage, um die es in Frankfurt ging. Die Stadt am Main war kürzlich so etwas wie das Zentrum der Fahrradwelt mit der Eurobike, die sich stolz als weltgrößte und wichtigste Fahrradmesse vermarktet. Zeitgleich trafen sich Politik und Expertentum zudem auf Einladung des Bundesverkehrsministeriums, erstmals parallel beim Nationalen Radverkehrskongress.
Es geht um ein vages, aber großes Ziel, bis 2030 solle Deutschland Fahrradland sein, so hat es sich die Koalition vorgenommen. So sagt es sogar der Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP, den wohl niemand verdächtigt, ein Fahrradaktivist zu sein. Vor allem in der Pandemie, als Busse und Bahnen plötzlich wie gefährliche Orte wirkten, haben die Deutschen Räder gekauft wie nie, und zwar vor allem: Elektroräder. 4,6 Millionen Räder haben sie im vergangenen Jahr erstanden, davon 2,2 Millionen E-Bikes, 10 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Sie geben, auch dank des Dienstradleasings, viel Geld für Räder aus, im Schnitt dreimal mehr als vor zehn Jahren.
Dieses Jahr nun hat für die Branche schwach begonnen, die Inflation, schlechtes Wetter, volle Läger. Aber da sind ja immer noch die E-Bikes. In diesem Jahr sollen in Deutschland erstmals mehr Räder mit Elektrounterstützung verkauft werden als ohne. E-Bikes sind der große Hoffnungsträger: für die Verkehrswende – und für die Branche. „Gäbe es die E-Bikes nicht“, sagt jedenfalls Volker Thiemann, „würden wir hier nicht stehen.“ Der 59-Jährige ist Mitinhaber von Velo de Ville, sein Vater hat die Firma in den Sechzigerjahren in Altenberge bei Münster gegründet. Thiemann jedoch baut nicht nur Räder, er kämpft auch dafür, dass sie Platz bekommen. 25 Jahre lang saß er für die CDU im Gemeinderat seiner Heimatstadt. Thiemann ist konservativ und Fahrradlobbyist. Eine seltene Mischung, manchmal stritt er mit den eigenen Leuten. Seine Lehre ist jedenfalls die gleiche, sie lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. „Wir brauchen mehr Infrastruktur. Straßen produzieren Autofahrer. Radwege produzieren Fahrradfahrer.“ Und: „Fahrradfahren muss einfach sein.“
Wenn das stimmt, sieht es für das Rad besser aus denn je. Auf der Eurobike zeigen 1900 Aussteller ihre Produkte. Es fehlen große Namen aus Deutschland, Caynon, Rose und Cube zum Beispiel, sie sind alle nicht da. Es gibt, das ist einer der großen Trends, immer mehr Lastenräder, die leicht genug dafür sind, dass man sie tatsächlich in den Keller hieven kann, und kompakt genug, um nicht drei Parkplätze zu brauchen. Es gibt zumindest einige E-Bikes, deren Rahmen so schlank sind, dass es kaum auffällt, dass da beim Treten jemand hilft.
Auch wenn nicht alle den Ehrgeiz des Kölner Lastenradherstellers Muli haben, die sich vorgenommen haben, ein Lastenrad komplett aus hiesigen Teilen zu bauen, ohne dass die Räder teurer werden – und damit recht weit gekommen sind: Felix Schön, einer der Mitgründer, steht vor Lastenrädern, deren Kisten einklappbar sind. „Das ist der Weg, den wir gehen wollen“, sagt er, und nur an zwei Teilen seien sie gescheitert: an einem Teil am Vorbau und an den Reifen. Es ist, so Schöns Erfahrung, viel mehr möglich, als man vermutet. Die Frage ist nur, wo man all die schönen Räder fahren soll – und wo man sie abstellen kann, ohne dass sie jemand klaut. Da befürchten viele in der Radszene, dass Deutschland gerade nicht vorankommt. Was man unter anderem daran ablesen kann, dass Oliver Luksic, Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, zumindest einen Lacher produziert – als er seinen Chef entschuldigt. Volker Wissing müsse bei den deutsch-chinesischen Regierungskoalitionen dabei sein, erklärt Luksic, ein Pflichttermin.
Ein Beispiel ist das Förderprogramm für Fahrradparkhäuser, das der Minister vor einigen Wochen angekündigt hat, 110 Millionen Euro bis 2028. Fahrradparkhäuser gelten als zentral für einen höheren Radanteil. Wer ein 8000-Euro-Rad fährt, will es nicht zu den Rostrahmen auf dem Bahnhofsvorplatz stellen. Nur wird das Geld kaum reichen. Laut Berechnungen aus Wissings Ministerium liegt der Bedarf bei mindestens 1,5 Millionen Stellplätzen, deren Bau Milliarden kosten würde. Sein Staatssekretär sagt nun in Frankfurt, 170 Kommunen hätten sich schon beworben. Ein Erfolg sei das. Nun müsse man nachdenken, „wie wir die große Nachfrage befriedigen können“.