„Erschreckend ist, dass wir 54 Frauen in diesem Jahr nicht aufnehmen konnten“, schildert Weigand. Und das meist aus Platzmangel. Denn das Peiner Frauenhaus verfügt nur über elf Plätze für Frauen sowie 14 für Kinder. Aktuell sei gerade noch ein Platz verfügbar, „aber das kann sich in einer Sekunde ändern“, erklärt Weigand. Die Situation im Frauenhaus ist hochdynamisch. An einem Tag etwa gab es innerhalb von einer Stunde vier Anfragen.
Manchmal aber sei es auch schlicht zu gefährlich, eine Frau in der Nähe ihres Wohnortes aufzunehmen. Dann gilt es, möglichst viel Distanz zum gewalttätigen Partner zu schaffen und die Frauen in anderen Frauenhäusern in Niedersachsen oder der Bundesrepublik unterzubringen. Die Frauen im Peiner Frauenhaus kommen ebenfalls aus den unterschiedlichsten Teilen Deutschlands. Entscheidend ist: „Die Frauen müssen vor die Tür gehen können, ohne Gefahr zu laufen, angegriffen zu werden.“
Zu diesem Zweck sind die Frauenhäuser eng vernetzt. Es gibt ein Online-Ampelsystem, auf das neben den Schutzeinrichtungen auch die Polizei zugreifen kann. Dort gibt jedes Frauenhaus an, wie viele Plätze für Schutzsuchende zur Verfügung stehen. Das Problem: „Meist steht die Ampel auf Rot.“ Kein Platz ist mehr frei. An diesem Nachmittag ist das bei 20 der 45 Frauenhäuser in Niedersachsen der Fall. „Manchmal ist das auch nicht dem Platz-, sondern dem Personalmangel geschuldet“, sagt Weigand.
Wo sich die Frauen aufhalten, ist streng geheim. Doch das werde in einer zunehmend digitalisierten Welt immer schwieriger. „Wir weisen die Frau schon vor der Aufnahme darauf hin, dass sie die Standortfunktion an ihren Handys ausschalten.“ Doch darüber hinaus gebe es noch zahlreiche andere Risiken, etwa Tracker, die unbemerkt beim Umgang mit den Kindern hereingeschmuggelt werden können. Aber auch digitales Spielzeug berge Gefahren. „Es ist unglaublich schwer geworden, sich unsichtbar zu machen“, so Weigand. Einige Frauenhäuser beschäftigten bereits extra Personal, um alle digitalen Geräte zu überprüfen. „Das Handy einfach wegzusperren ist keine Option, denn es ist oft die einzige Kommunikationsmöglichkeit mit dem sozialen Umfeld.“
Das Peiner Frauenhaus ist rund um die Uhr erreichbar. Ist das Büro nicht besetzt, gibt es einen Bereitschaftsdienst. Auf diese Weise können zu jeder Tages- und Nachtzeit Schutzsuchende aufgenommen werden. „Es sind in aller erster Linie Frauen, die in einer Notlage sind. Sie packen dann ihre Sachen und kommen an einen vereinbarten Treffpunkt, wo wir sie abholen. Im Frauenhaus machen wir uns dann ein Bild der Lage, und die Frauen können erst mal zur Ruhe kommen.“ Gemeinsam werden dann Perspektiven entwickelt, wie es weitergehen kann.
Wie lange Frauen im Frauenhaus bleiben, ist unterschiedlich. „Vorgegeben ist ein Zeitraum bis zu drei Monaten. In dieser Zeit eine Wohnung zu finden und sich selbst zu stabilisieren, ist aber fast unmöglich“, sagt die Leiterin. Daher kann eine Verlängerung beantragt werden. Manchmal sind es andere Hürden, die es Frauen erschweren, ein neues Leben aufzubauen, etwa wenn sie aufgrund ihres Aufenthaltsrechts eine Wohnsitzauflage haben. „Für die bürokratischen Auflagen geht viel Zeit drauf“, bedauert Weigand. So müsse das Haus jedes Jahr neue Finanzierungsanträge stellen. Geld kommt vom Land sowie vom Landkreis Peine. Manche Frauen bekommen Tagessätze des Jobcenters, wenn sie nach dem zweiten Sozialgesetzbuch leistungsberechtigt sind. Zudem erhält das Frauenhaus Spenden und Geldauflagen der Justiz.
Die Beratungs- und Interventionsstelle, kurz BISS, die dem Peiner Frauenhaus angegliedert ist, sind im vergangenen Jahr insgesamt 241 Fälle häuslicher Gewalt gemeldet worden. Die „normale“ Messgröße liege bei 150 Fällen. In 193 Fällen davon habe die Polizei eine Beratung vermittelt, weitere 48 Frauen haben sich selbst bei der Beratungsstelle gemeldet.
Laut der Istanbul-Konvention müssen Kommunen pro 10.000 Einwohner einen Schutzplatz vorhalten. Für den Landkreis Peine bedeutet das bei rund 130.000 Einwohnern 13 Plätze im Frauenhaus. Tatsächlich sind aber nur elf vorhanden. Eine Erweiterung des Hauses „ist aber unter den gegebenen räumlichen Bedingungen nicht möglich. Wir haben alles ausgereizt“, so Weigand. Eine Alternative sei, eine Außenwohnung anzumieten. „Die 52 Frauen, die wir abweisen mussten, diese Zahl spricht für sich“, sagt die Frauenhaus-Leiterin. „Wir haben ein großes Problem.“ Denn finde sich kein Platz, bleibe den Frauen nur der Weg in Obdachlosenunterkünfte. „Und das sind keine guten Lösungen“, betont Weigand. „Wir brauchen deutlich mehr Schutzplätze.“