Für alle Ärztinnen und Ärzte steht nach Angaben des Zahnarztes ein bestimmtes Budget zur Verfügung. Ist das aufgebraucht, tritt der Honorarverteilungsmaßstab (HVM) in Kraft. Das Geld werde dann so gerecht wie möglich auf die Praxen verteilt. „Bisher sind wir damit klar gekommen“, so Fischer.
Jetzt sei erneut eine strikte Budgetierung im zahnärztlichen Bereich eingeführt worden, um das Milliarden-Defizit in der Gesetzlichen Krankenversicherung auszugleichen, teilt Dr. Michael Loewener, Pressesprecher der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KZVN) auf Nachfrage der Zeitung mit. „Dabei fallen wir dem System nicht zur Last, die Zahnärzte bekommen 2,9 Prozent der Ausgaben“, so Fischer. Das Sparen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) könnte bei dem Wolfsburger zu rund 40.000 Euro Honorareinbußen führen. Aber Gehälter, Versicherungen und Steuern blieben gleich. „Die Überlebensrate der Zahnärzte wird in Frage gestellt, und die Grundversorgung der Patienten wackelt. Denn einige Praxen öffnen vielleicht nur noch zehn Monate im Jahr, weil sie kein Geld mehr für ihre Leistung bekommen. Jedoch wissen das viele Menschen nicht“, sagt Fischer.
Besonders fatal ist nach Angaben von Loewener die Auswirkung der Budgetierung für die vor knapp zwei Jahren eingeführte präventionsorientierte Therapie der Volkskrankheit „Paradontitis“, also die Entzündung des Zahnhalteapparates. Mittlerweile gehe es bei gut einem Drittel aller Patientenbesuche in den Zahnarztpraxen um die Behandlung von Parodontitis, erklärt Dr. Ralf Zornemann, Peiner Zahnarzt und Kreisstellenvorsitzender der Zahnärztekammer Niedersachsen. „Im Gegensatz zur Kariestherapie ist das ein lebenslänglicher Prozess.“ Schließlich werde die Behandlung regelmäßig durchgeführt. Das Problem für die Praxen: Inzwischen werde diese Form der Therapie wieder budgetiert, wie es vor Corona bereits der Fall gewesen ist. Soll heißen: Wird eine bestimmte Summe überschritten, werden die finanziellen Mittel gekappt, so Zornemann. Und dadurch, dass es immer mehr Parodontitis-Therapien gebe, sei diese Summe schnell erreicht. Um ein Zeichen gegen diese Budgetierung zu setzen, wollen Zahnärztinnen und Zahnärzte in Hannover auf die Straße gehen.
„Viele fahren nach Hannover“, sagt Heike Kleinsorg, Gifhorner Kreisstellensprecherin der KZVN. Daher seien am Mittwoch zahlreiche Zahnarztpraxen im Landkreis geschlossen. Ein Notdienst sei eingerichtet worden. Die Demo sei ein „Aufschrei“ gegen die Reglementierungen, die den Zahnärzten von der Politik auferlegt würden. Dazu gehöre „Bürokratismus ohne Ende“, die Budgetierung von Leistungen, die dazu führe, dass „Patienten immer mehr Geld selbst in die Hand nehmen müssen“ – und „das Wesentliche“, das Bemühen um das Wohlergehen der Patienten, gehe verloren.
Die Kolleginnen und Kollegen aus Wolfsburg seien demotiviert, sagt Dr. Jens Fischer. Viele würden mit 65 Jahren in Rente gehen, dabei liege das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren. „Es gibt keine Nachfolger für die Praxen. Die Zahl der angestellten Zahnärzte hat sich prozentual erhöht, weil sie nicht so gerne selbstständig sein möchten“, erklärt er.
In Wolfsburg gebe es zufolge der KZVN insgesamt 96 Zahnärzte. In Gifhorn gibt es ebenfalls 96 und in Peine 76 Zahnärzte. „Man kann insgesamt von einem drohenden Mangel sprechen, obwohl Städte wie Gifhorn und Peine noch gut versorgt sind. Sie versorgen zusätzlich Pendler aus dem zugehörigen Umland mit Versicherten aus weniger gut versorgten Gemeinden“, sagt Dr. Michael Loewener.
Im Raum Peine liegt die Versorgung laut Zornemann nur noch bei etwa 70 Prozent. „Im Kreis Peine findet sich schon seit rund zehn Jahren kein Praxis-Nachwuchs mehr“, sagt Zornemann. Allein in den vergangenen zwei Jahren hätten im Kreisgebiet vier Praxen geschlossen. Als Grund dafür nennt er unter anderem den immer größer werdenden bürokratischen Aufwand, den Zahnmediziner heute hätten. Viele seiner Kolleginnen und Kollegen hätten noch im höheren Alter weitergearbeitet, statt in den Ruhestand zu gehen, weil sich einfach keine Nachfolge gefunden habe, erzählt Zornemann. Und für die Patienten sehe „die Zukunft düster aus“.
Kleinsorgs Ansicht nach wird sich die Lage auch in Gifhorn noch zuspitzen: „Es wird immer weniger Termine geben.“ Auch weil etwa ein Drittel der Zahnärzte im Landkreis in den nächsten fünf bis sieben Jahren aus Altersgründen aufhören werden: „Und die meisten werden keinen Nachfolger finden.“ Und wenn, dann seien sie der deutschen Sprache nicht mächtig. Die vom Bundesgesundheitsminister vorgegebene Marschroute hin zu Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), in denen angestellte Zahnärzte arbeiteten, sei ein Rückschritt und problematisch, weil das „Wirtschaftsunternehmen sind, deren Investoren, oft aus dem Ausland, ordentliche Renditen sehen wollen“.
Eine andere Gifhorner Zahnärztin, die nicht namentlich genannt werden will, berichtet gegenüber der Zeitung von 80-Stunden-Wochen, um das Überleben der Praxis zu sichern. Nicht wenige Kollegen würden aufgrund der Bedingungen ernsthaft darüber nachdenken, ihre Zulassung zurückzugeben und „den Laden dichtzumachen. Die Entwicklung ist schrecklich“.
Wie Kleinsorg erklärt, sei die Demo nötig, damit „auch die Patienten erkennen, dass im deutschen Gesundheitssystem etwas falsch läuft“. Und mehr als das: „Die Welt steht Kopf.“ Was sich bei den Zahnärzten auch so auswirke, dass es an Praxis-Personal mangelt: „Trotz vier Tage Woche und guter Bezahlung findet man kaum Leute, die noch arbeiten wollen.“
Fischer und seine Mitarbeiterin Corinna Müller wussten am Dienstagnachmittag noch nicht, ob nach Hannover zur Kundgebung fahren. „Zahnärzte und deren Mitarbeitende haben keine Lobby. Den Protest werden vermutlich nicht viele Menschen mitbekommen. Wir müssten ein Zeichen setzen und die Praxen schließen, genauso wie es viele Apotheken gemacht haben“, so Fischer.