Vor etwa fünf Jahren fing es bei ihrem Mann an, erzählt Hannelore W. (Name von der Redaktion geändert). „Plötzlich vergaß er, die Herdplatten auszustellen, suchte sein Handy, fand den Weg nach Hause nicht mehr“, schildert sie. Sprach sie ihn darauf an, flippte er aus, schimpfte, tobte. Als sie das Buch „Du verschwindest“ von Christian Jungersen las, vermutet sie zum ersten Mal eine Krankheit dahinter. „Es geht darin eigentlich um einen Menschen mit einem Hirntumor. Aber mit der Demenz ist es ähnlich, die Krankheit hat meinen Mann verändert.“ Er selbst leugnet, dass etwas nicht stimmt. Eine offizielle Diagnose gibt es nicht. „Aber ich gehe davon aus, dass es Demenz ist“, ist Hannelore überzeugt. Es habe eine Phase gegeben, wo ihr Mann jede Nacht aufgestanden sei, überall im Haus das Licht angestellt habe und partout nicht mehr ins Bett gehen wollte.
Wenn ihr Mann wütend wird, versucht Hannelore, es nicht persönlich zu nehmen. Das ist ein Tipp, den sie aus der Stärkungsgruppe für Angehörige von demenziell Erkrankten mitgenommen hat. Die Teilnehmer treffen sich einmal im Monat bei der Generationenhilfe Börderegion in Hohenhameln.
Infolge seiner Erkrankung habe sich ihr Mann sehr zurückgezogen. „Wir hatten hier immer Leute auf dem Hof, aber das ist nicht mehr so. Freunde und Verwandte ziehen sich zurück“, bedauert die 67-Jährige. Dies geschehe oft aus Unsicherheit, meint Uta B. (Name von der Redaktion geändert). Auch bei ihr ist eine Angehörige an Demenz erkrankt – mit gerade 62 Jahren. „Freunde und Verwandte wollen sich nicht damit belasten. Doch dieser Rückzug trifft nicht nur die Erkrankten, sondern auch die Angehörigen“, sagt sie. Ein Stück weit fühle man sich „aussätzig“.
Vor etwa einem Jahr fing es bei ihrer Angehörigen an: „Sie konnte sich innerhalb kürzester Zeit nicht mehr daran erinnern, dass wir über etwas gesprochen hatten. Ich musste Sachen immer wieder wiederholen“, erzählt Uta B. Mittlerweile brauche ihre Angehörige viel Unterstützung, denn die Krankheit schreite schnell voran. „Es gibt Phasen, die sehr schwer sind, und Tage, an denen es wieder besser ist. Aber die werden weniger“, sagt Uta B.
Dass sie früher einmal eine gute Klavierspielerin gewesen ist, davon sei bei ihrer Angehörigen nichts mehr übrig. „Sie weiß nicht, wie sie die Noten, die sie vor sich sieht, auf die Tasten kriegen soll“, beschreibt Uta B. Eine unglaubliche Frustration für die Betroffene. „Für sie ist das sehr schlimm, sie leidet sehr darunter“, schildert die 55-Jährige. Gleichzeitig gebe es eine große Verlustangst: „Sie fragt mich immer wieder: Lässt du mich auch nicht allein?“ Uta B. lässt sie nicht allein. Wenn sie das Haus verlassen muss, schreibt sie Zettel, wo sie sich aufhält – sicherheitshalber.
Dass die Menschen, die sie lieben, langsam verschwinden, das belastet beide Frauen sehr. Wie sie damit umgehen? „Wir lesen Bücher dazu“, sagt Hannelore W. „Unter Tränen gelacht – Mein Vater, die Demenz und ich“ von Bettina Tietjen sei so ein tolles und empfehlenswertes Buch zum Thema. Und dann ist da die Gesprächsgruppe, in der sie zum Beispiel die Biografien der Erkrankten aufschreiben. „Das ist wichtig, wenn sie zum Beispiel ins Pflegeheim kommen“, erklärt Hannelore.
Das Pflegepersonal habe so die Möglichkeit, etwas über das Leben der Personen, über ihre Vorlieben und Abneigungen, über den Menschen zu erfahren. „Sich selbst eine Auszeit nehmen, das ist ganz wichtig“, sagt Uta B. „Ganz aus der Situation rausgehen.“ Ansonsten bleibe nur, die Situation anzunehmen, wie sie sei. „Gegensteuern hilft gar nicht.“ Genauso wenig wie das Wort „Nein“. Stattdessen gucken sie gemeinsam alte Filme, die Wiedererkennen und Wohlbefinden auslösen, lachen gemeinsam über weit zurückliegende Ereignisse – vor der Diagnose Demenz.
Auch wenn sie in der Öffentlichkeit für mehr Akzeptanz für das Thema werben möchten – ihre Gesichter wollen die beiden Frauen nicht zeigen, und auch ihre Namen möchten sie nicht in der Zeitung lesen. Zum einen, weil sie den Wunsch ihrer Angehörigen respektieren möchten, ihre Erkrankung nicht öffentlich zu machen, zum anderen, weil sie fürchten, stigmatisiert zu werden. Allein das zeigt, dass der Umgang mit an Demenz Erkrankten noch viel Aufklärung bedarf. „Wir möchten das Thema enttabuisieren“, sagt Gisela Grote von der Generationenhilfe Börderegion.
Ein Stück dazu beitragen soll der Informationsnachmittag „Demenz – die Welt steht Kopf“ am Montag, 18. September, von 16 bis 18 Uhr in der Begegnungsstätte „Mittelpunkt“ der Generationenhilfe an Marktstraße 20 in Hohenhameln. Geplant sind sechs Stationen zur Sicht der Betroffenen, der Angehörigen, der Medizin und der Pflege. Zudem soll es um die Kommunikation mit demenziell erkrankten Menschen gehen und um die Wünsche und Bedürfnisse der Besucher.