Über den Antrag für den Vorbescheid, der auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung umfasst, entscheidet das Gewerbeaufsichtsamt in Braunschweig. „Mit diesem Antrag wollen wir die Voraussetzung dafür schaffen, dass wir uns kurzfristig und flexibel auf die angekündigte Kraftwerkstrategie der Bundesregierung und Ausschreibungen für Gaskraftwerke einstellen und gegebenenfalls bewerben können“, argumentiert die Kraftwerksleitung.
Geschäftsführer der zum tschechischen Energieversorger EPH gehörenden Kraftwerk Mehrum GmbH ist Armin Fieber, Prokuristin Kathrin Voelkner. „Die tatsächliche Größe, die tatsächlichen Volllaststunden und somit auch die Wirtschaftlichkeit des neuen Gaskraftwerks werden dann von dieser Ausschreibung abhängen. Ist die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben, wird das Kraftwerk nicht gebaut“, heißt es in der Stellungnahme der Geschäftsführung.
Und weiter: „Unser Handeln ist von der Sorge um die Sicherheit der elektrischen Energieversorgung getrieben. Dem Standort Mehrum kann hier eine besondere Rolle zukommen, da sich hier die 380-Kilovolt- und 220-Kilovolt-Übertragungsnetze der Tennet und das 110-Kilovolt-Verteilungsnetz der Avacon treffen.“ Das neue Gaskraftwerk werde aus ein oder zwei schnell startenden Gasturbinen aufgebaut, wäre also in der Lage, schnell und häufig auf sich verändernde Stromerzeugung aus Wind und Sonne zu reagieren und somit einen Blackout zu verhindern.
„Die eingesetzte Gas- und Dampfturbinentechnik ist die Technik mit der höchsten Stromausbeute aus chemisch gebundener Energie, wie zum Beispiel Erdgas oder auch Wasserstoff“, betont die Kraftwerksführung. „Grüner“ Wasserstoff sei in absehbarer Zeit nicht im benötigten Maße verfügbar, um damit einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten zu können. „Das Abschalten der Kohlekraftwerke ist jedoch geplant und der Neubau von Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien kommt nur langsam voran.“In unmittelbarer Nähe des Kraftwerks sei eine große Wasserstoffleitung nach Salzgitter geplant, weshalb der Standort Mehrum zusätzlich von strategischer Bedeutung ist, betont die Geschäftsführung. „Deshalb sieht unser Gaskraftwerk bereits die Möglichkeit vor, Wasserstoff einsetzen zu können. Dies wird aber erst in einigen Jahren zunächst durch Beimischung des Wasserstoffs zum Erdgas erfolgen, weshalb wir entsprechenden Platz zur Errichtung von Anlagen zur Versorgung der Gasturbinen mit Wasserstoff vorsehen.“ Ein 100-prozentiger Ersatz des Erdgases durch Wasserstoff werde erst in einigen Jahren möglich sein. „Die Sicherheit des Stromnetzes ist aber bereits jetzt zu gewährleisten.“
Die geplante Anlage sei „völlig überdimensioniert“, kritisieren Dr. Ina Rust von der Infogruppe Kraftwerk Mehrum und Dr. Jens Clausen vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit in Hannover. Die Experten sprachen bei einer Info-Veranstaltung der BI für Umweltschutz in der Gemeinde Hohenhameln unter dem Titel „Neues Gaskraftwerk in Mehrum – Stolperstein auf dem Weg zur Klimaneutralität?“ im Dorfgemeinschaftshaus Mehrum. Bis zu 800 Megawatt würden nach Berechnung des Maschinenbauingenieurs Clausen ungenutzt bleiben. Dafür könnten theoretisch die acht größten Städte des Landes mit Fernwärme versorgt werden, was jedoch von Mehrum aus nicht möglich sei. „Allenfalls wären dezentrale, kleinere Gaskraftwerke mit Kraft-Wärmekopplung auf dem Weg zur von der Bundesregierung angestrebten Klimaneutralität akzeptabel“, so der Experte. In Mehrum könnte dann auch das von der Gemeinde Hohenhameln geplante Energiequartierskonzept miteinbezogen werden.
Neue Gaskraftwerke, die zurzeit mit Fracking-Gas aus den USA betrieben würden, seien klimaschädlicher als Kohlekraftwerke, sagte Gastredner Lukas Held, stellvertretender Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) Niedersachsen. „Ursächlich sind hohe Methanemissionen, die bei der Förderung freigesetzt werden.“ Neue Gaskraftwerke sollen in Zukunft nach dem Willen der Bundesregierung einspringen, wenn Strom aus erneuerbaren Energien, zum Beispiel während „Dunkelflauten“, nicht in hinreichendem Maße zur Verfügung stünden. „Spätestens 2035 sollen sie auf den Betrieb mit grünem Wasserstoff umgestellt sein“, berichtet Held.
Zur Umstellbarkeit des neuen Kraftwerkes auf Wasserstoffnutzung fehle jedoch ein detailliertes technisches Konzept, moniert Held. Ebenso sei das Kühlproblem eines Dampfturbinen-Kraftwerkes mit seinen Auswirkungen auf die Umwelt in Zeiten des Klimawandels risikoreich. Auch ist fraglich, wie das Projekt finanziert werden solle. Ein detaillierter Kostenplan sei nicht bekannt. In den Antragsunterlagen sind Errichtungskosten von mindestens 300 Millionen Euro veranschlagt.
Zur Kritik an der ungenutzten Abwärme entgegnet die Kraftwerks-Geschäftsführung: „Die Umwandlung von Energie in einem Kraftwerk oder auch bei einer Elektrolyseanlage zur Wasserstofferzeugung ist mit Abwärme verbunden, die idealerweise zu Heizzwecken genutzt werden sollte.“ Heizkraftwerke zur Fernwärmeversorgung würden deshalb in der Nähe der Wärmeverbraucher betrieben. „Sie erzeugen aber auch nur dann Strom in Kraft-Wärme-Kopplung, wenn aufgrund der Wetterlage ein Heizwärmebedarf besteht. Versorgungsengpässe in der Stromversorgung treten jedoch unabhängig vom Wärmebedarf auf“, heißt es in der Stellungnahme. „Wir sind deshalb der Meinung, dass im Rahmen der zukünftigen Energieversorgung auch das von uns geplante Gaskraftwerk eine Zukunft hat.“