Wie viele Strafanträge genau vorliegen, konnte Wotschke aktuell noch nicht sagen. Nur so viel: Der zuständige Staatsanwalt habe alle Hände voll zu tun, die eingegangenen Unterlagen zu prüfen. Gerüchte über den Geschäftsführer von Brandt’s Wohnwelt, wonach sich dieser abgesetzt haben soll, kann die Staatsanwältin nicht bestätigen. „Uns liegen keine Hinweise darauf vor, dass er abgetaucht ist oder dergleichen.“ Gleichwohl ist der Geschäftsführer für seine Kunden und Presseanfragen weiter nicht erreichbar. Das Ladengeschäft ist geschlossen, ans Telefon geht niemand, E-Mails werden nicht beantwortet und beim Wohnhaus des Geschäftsführers gleich neben dem Betrieb sind die Rollläden heruntergelassen.
Unterdessen haben sich viele der geschädigten Käufer organisiert, unter anderem in einer WhatsApp-Gruppe mit dem Namen „Der Küchen Schwindler“. Dort und in anderen Netzwerken werden immer mehr Fälle bekannt, teilweise geht es um immense Summen. So will etwa ein Wolfsburger für Küchen für seine Mietwohnungen insgesamt rund 70.000 Euro anbezahlt und nichts geliefert bekommen haben.
Andere Kunden berichten, sie seien bei der Kaufberatung mit der Aussage unter Druck gesetzt worden, dass eine Null-Prozent-Finanzierung nur noch für kurze Zeit möglich sei. Nach Vertragsabschluss sei dann aber nichts mehr passiert. Immerhin soll die Bank, über die die Finanzierung angeboten wurde, die Ratenzahlung für einige Betroffene gestundet haben, heißt es aus dem Umfeld. Die Gesamtschadenssumme soll nach aktuellen Erkenntnissen bei mehreren Hunderttausend Euro liegen.
Rechtsanwalt Erik Wilhelmus aus Salzgitter vertritt einige der Geschädigten und gibt eine erste Einschätzung der Situation. Die Bandbreite sei gewaltig: Es gehe teils um mittlere vierstellige Beträge bis hin zu fünfstelligen Summen. Teilweise seien die Aufträge kurz vor der Fertigstellung. Andere wurden entgegengenommen, danach sei aber offenbar nichts mehr passiert, fasst der Anwalt zusammen. Schockierend: Einige Aufträge seien bereits vor mehr als eineinhalb Jahren erteilt worden.
Rechtlich gelte es für die geprellten Kunden nun, Ansprüche auf Erfüllung des Vertrags beziehungsweise aus einer Sachmängelgewährleistung gerichtlich geltend zu machen und durchzusetzen. Aus der Tatsache, dass sehr viele Kunden betroffen seien, könnte man eine Masche ablesen. Aufgrund recht kurzer einzuhaltender Fristen könne es vermutlich noch in diesem, sonst spätestens im nächsten Monat Erkenntnis geben, ob die Sache auf ein Insolvenzverfahren hinausläuft. Und danach sieht es nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft derzeit aus.
Sobald ein Insolvenzverfahren laufe, müsse man eine Fallunterscheidung machen: Gewöhnliche Forderungen seien sogenannte Masseforderungen, hier liegt die Quote der Rückzahlung in der Regel bei weit unter 5 Prozent. Kommen aber Straftaten wie Betrug oder Untreue in Betracht, würden die Forderungen sozusagen „um das Insolvenzverfahren herum“ laufen und könnten noch im Nachgang geltend gemacht werden.
Und wie ist seine strafrechtliche Einordnung? „Ich habe Mandanten, die selbstständig den Küchenlieferanten ermittelt und in Erfahrung gebracht haben, dass ihre Küche dort weder bestellt noch bezahlt worden ist. Behauptet wurde aber das Gegenteil“, schildert Wilhelmus. In einem konkreten Fall sei die Küche finanziert und das Geld direkt an das Möbelhaus gezahlt worden, ohne dass es dort zweckgebunden – also für die Bestellung und Bezahlung der Küche – weiterverwendet wurde.
„Bei dieser Konstellation ist für mich ein Anfangsverdacht für einen Betrug gegeben. Man könnte aber auch von einer Untreue sprechen, weil ja zweckgebunden Geld geflossen ist, das dazu verwandt werden sollte, eine bestimmte Küche zu bestellen“, so die Einschätzung des Juristen. Sollte sich der vorgebrachte Vorwurf von Fake-Anrufen bei Banken für die Küchen-Finanzierung beweisen lassen, käme arglistige Täuschung ins Spiel und der Vertrag sei anfechtbar.
Ob Betroffene gegen das Möbelhaus vorgehen, müssten diese für sich selbst entscheiden. Klar sei aber: „Wer nichts tut, hat auch keine Chance, etwas zu realisieren“, macht der Anwalt deutlich. Er sehe „die Erfolgsaussicht auf Feststellung eines Anspruchs in jedem Fall als überwiegend gegeben“ an. Wie es mit der Realisierung der Forderung aussehe, könne er aber nicht verlässlich einschätzen, da ihm die Vermögensverhältnisse des Möbelhauses nicht bekannt seien.
Die hohen Anzahlungen, die geleistet wurden, seien in der Branche nicht ungewöhnlich. „Auf dem Küchenmarkt sind die Geschäfte in der vorteilhaften Situation, dass sie Vorkasse nehmen können. Das war auch hier der Fall, teilweise wurde die gesamte Summe bezahlt, teilweise eine Anzahlung in Höhe von 80 Prozent geleistet“, berichtet Wilhelmus.
Küchenkäufern rät der Anwalt: „Man sollte den Vertrag unbedingt gründlich lesen und zumindest auf einen kleinen Zurückbehalt – etwa 10 bis 20 Prozent – bestehen. Zudem sollte man eine Fertigstellungszeit vereinbaren und zumindest einen ungefähren voraussichtlichen Termin in den Vertrag aufnehmen.“ Wenn sich die Lieferung deutlich (ab etwa einen Monat) verzögere, sollte man nachhaken und versuchen zu klären, was Sache ist. Je nach Vertrauensverhältnis empfehle es sich, möglichst viel schriftlich festzuhalten, sodass man sein Vorgehen dokumentieren könne, wenn man einen Anwalt oder gar ein Gericht in Anspruch nehmen müsse.