An einem bis vier Tagen fehlte 2019 etwa jeder zehnte Schüler im Kreis Peine pro Schuljahr unentschuldigt. An fünf bis zehn Tagen fehlten 598 Schülerinnen und Schüler (4,6 Prozent). 317 Kinder und Jugendliche (2,4 Prozent) blieben elf bis 20 Tage der Schule fern und 226 (1,7 Prozent) fehlten sogar an 21 und mehr Tagen unentschuldigt. „Nach Corona und der Wiederaufnahme des Unterrichts in den Klassenräumen sind heute keine signifikanten Veränderungen im Vergleich zu 2019 bei den Zahlen der Schulabsentisten zu erkennen“, versichert der Jugendsozialarbeiter Anton.
In der Praxis hilft den Lehrkräften an den Schulen ein digitales Klassenbuch, das die Fehlzeiten aller Kinder minutiös erfassen kann, sowie bei der Dokumentation und der Nachweispflicht, wenn es zu Mahnungen an die Eltern in Form eines „blauen Briefs“ unterstützt. Bei wiederholter Schulpflichtverletzung werden über den Schulträger Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Die daraus resultierenden Bußgelder können mitunter beachtlich sein.
Fünf Prozent der Schülerinnen und Schüler im Bundesgebiet versäumten aufgrund von geringer familiärer Unterstützung, Perspektivlosigkeit, Beziehungsscheitern und mangelndem Kompetenzerleben gewohnheitsmäßig die Schule. Häufig steckten individuelle, familiäre und schulische Probleme hinter dem ’Schwänzen’. Der Begriff sei jedoch veraltet: „Wir sprechen von Schulabsentismus, der sowohl passiv als auch aktiv sein kann“, sagt Anton. Gründe der Passivität seien die Probleme, die eine aktive Teilnahme am Unterricht verhindern, unter anderem Mobbing. Aktiv werde der Absentismus, wenn der Schüler fernbliebe.
Ab dem fünften unentschuldigten Fehltag sei eine Anzeige wegen Ordnungswidrigkeit (OWI) von der Schule zu stellen, erklärt Julia Kappermann-Schnitzer von der Caritas. Der Verband fungiert als freier Träger zwischen den Schulen und Gerichten. Die Höhe des Strafgeldes richtet sich dann an einem Tagessatz, der eine Steigerung in drei Phasen umfasse. Die Fehltage staffeln sich. „Bis zu 1000 Euro dürfen als Strafe verhängt werden. Früher waren es nur 700 Euro“, sagt Kappermann-Schnitzer. Bis der Schüler 14 Jahre alt ist, können nur die Erziehungsberechtigten mit einer Geldstrafe belegt werden. Bei Jugendlichen ab 14 Jahren erhält sowohl der Schüler als auch die Eltern die Zahlungsaufforderung. Mit 18 Jahren erhält der Schüler das Schreiben allein, erklärt Anton. Bei Nichteinhaltung drohe Jugendarrest.
Interessant: Die Verteilung der Fehlzeiten je nach Schulform. Während an den Gymnasien im Landkreis Peine 91 Prozent der Schülerschaft ohne unentschuldigte Fehltage blieb, waren es an den Hauptschulen im Kreis lediglich 22 Prozent. 521 Schülerinnen und Schüler an den Hauptschulen blieben zwischen einem und vier Tagen unentschuldigt dem Unterricht fern, das ist fast die Hälfte der Schülerschaft an den Hauptschulen (48 Prozent). An den Realschulen blieben 71 Prozent der Schüler ohne unentschuldigtes Fehlen, 73 Prozent waren es an den IGS und Oberschulen im Kreis Peine.
Die Caritas unterstützt, wenn Kinder der Schule fern bleiben. „Wir handeln präventiv. Schülerinnen und Schüler als auch Eltern und Lehrkräfte können Kontakt aufnehmen. Dazu muss es keine Anzeige geben“, sagt Kappermann-Schnitzer. „In den ersten Gesprächen geht es um die Gründe und wir versuchen, Lösungswege zu entwickeln. Wichtig ist: Es sind Einzelfälle. Jeder Grund ist individuell“, sagt die Beraterin.
Neben den Schulen erfasse auch das Jugendamt unentschuldigte Fehlzeiten. Spätestens nach der Ordnungswidrigkeitsanzeige und der Auflage zu Sozialstunden kommt die Caritas ins Spiel. In der Jugendberatung werde die Strafe verwaltet und die Ableistung pädagogisch begleitet. „In den Schreiben der Gerichte an die Schüler steht Arbeits- und Beratungsmaßnahme“, verdeutlicht Kappermann-Schnitzer.
Angesichts der negativen Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen will der Landkreis Peine dieser Entwicklung entgegenwirken. Zusammen mit Kooperationspartnern hat er eine Handreichung Schulabsentismus herausgegeben und fördert Maßnahmen und Beratungsstellen. Das landkreisweite Konzept soll frühzeitig und nachhaltig auf Schulverweigerer reagieren und will für positive Bildungs-, Entwicklungs- und Lebensbedingungen vor Ort sorgen. Es sei übertragbar auf andere Schulen, damit alle auf dem gleichen Stand seien.
„In der Broschüre, die allen Schulen im Landkreis Peine vorliegt, wird versucht, die Probleme anzusprechen und die Schulen vorzubereiten. Doch bei aller Unterstützung stellt Anton klar: „Die Verantwortung ist im System Schule. Klassenverbände und Lehrer müssen versuchen, Hürden abzubauen oder im Ernstfall fragen, warum das Kind fehlt. Die Schule ist als Institution am nächsten dran“. Auch wenn Schüler oder Eltern den Kontakt zur Jugendsozialarbeit suchen, werde die Verantwortung nicht abgegeben: „Es geht nur in der Gemeinschaft mit der Schule“, sagt Anton.
Das unentschuldigte Fehlen ist nicht nur Gewissheit an weiterführenden Schulen. 394 Kinder fehlten zwischen einem und vier Tagen an den Peiner Grundschulen. Das Thema komme viel häufiger vor, als man es für eine Grundschule annehmen mag, sagt der Leiter der Grundschule in der Südstadt, Michael Lampka. Wenn Kinder nicht oder nur selten zur Schule kommen, versuche das Kollegium gemeinsam mit den beiden Schulsozialarbeiterinnen der Sache auf den Grund zu gehen und ganzheitliche Lösungen für das Kind und die Familie zu erzielen. „Das geht häufig nur im persönlichen Gespräch und hin und wieder nur mit viel Überzeugungsarbeit“, so Lampka. „Hier sehe ich häufig eine Erwartungshaltung einiger Elternhäuser, die mit unserem Leitbild und der pädagogischen Zielsetzung unserer Schule schwer vereinbar ist.“
An der Grundschule in der Südstadt kommt auch das digitale Klassenbuch zum Einsatz. „Die sogenannten OWI-Anzeigen haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen“, erklärt der Peiner Schulleiter. Auch gebe es zahlreiche, scheinbar unbelehrbare „Wiederholungstäter“. „Obwohl wir häufig das Gespräch gesucht haben, und es klare Vereinbarungen gibt, waren unsere Bemühungen dann leider erfolglos. Diesen Eltern liegt die schulische Bildung ihrer Kinder wenig am Herzen. Wir bedauern dies, werden aber nicht müde nachzuhaken und auch zu ermutigen, erneut mit uns Kontakt aufzunehmen. Immer im Sinne des Kindes.“