Der 29-jährige Angeklagte hat die Tat zwar allgemein eingeräumt, kann sich aber an den Angriff so gut wie nicht erinnern. Am ersten Verhandlungstag äußerte sich der Tatverdächtige persönlich und verlas eine Entschuldigung an das im Gerichtssaal anwesende Opfer. Es tue ihm wirklich leid, er wisse aber auch, dass der Schmerz, die Angst und das Leid, dass er ihm angetan habe, nicht wiedergutzumachen seien.
Der Angeklagte befand sich schon länger in psychiatrischer Behandlung. Vor vier Jahren habe er angefangen Stimmen zu hören. „Etwa zwei Wochen vor der Tat habe ich Stimmen gehört, die mir befohlen haben, schlimme Dinge zu tun“, sagte der 29-Jährige. Mithilfe seines Psychiaters habe er versucht eine Einweisung in die Psychiatrie in Königslutter zu bekommen, sei dort aber auf eine Warteliste gesetzt worden, weil kurzfristig kein Platz frei war. „Ich war dann verzweifelt und habe nur in den Tag hineingelebt.“
Am Tattag hatte es einen Disput mit seinem Stiefvater gegeben. Er hatte das Gefühl, dieser glaube ihm nicht. Er habe seit Februar keinen Alkohol mehr getrunken, sich dann aber eine Whisky-Flasche genommen und diese zu dreiviertel geleert. An die Ereignisse danach, wie er sich die Springerstiefel sowie ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck „Landser – Deutsche Wut“ angezogen habe – „so was trage ich normalerweise nicht“ – , wie er mit dem Auto zum Bahnhof in Peine gekommen sei und an die eigentliche Tat könne er sich nicht erinnern. Erst in der Polizeizelle sei er wieder klarer geworden. Von der rechten Szene habe er sich schon vor längerer Zeit distanziert, dort sei er auch nur ein Mitläufer gewesen. Dass er sich den 22-Jährigen als Opfer ausgesucht habe, sei für ihn ein Zufall gewesen.
Das Opfer beschrieb vor Gericht eindrücklich seine Todesangst. „Der Pfeil kam aus dem Nichts. Ich habe mir an den Rücken gefasst und einen stechenden Schmerz gespürt.“ Der 22-Jährige flüchtete in das Bahnhofsgebäude. Der mutmaßliche Täter kam hinterher, zielte dort abermals mit der geladenen Armbrust auf ihn, fragte „Was willst du machen?“ und folgte ihm bis zur Fahrkartenverkaufsstelle. Erst als die Mitarbeiterin dort rief „Raus, verlassen sie die Agentur“, sei er aus dem Gebäude gegangen. Die eingetroffenen Polizisten forderten ihn mit gezogenen Dienstwaffen dazu auf, seine Waffen niederzulegen. Nach kurzem Zögern tat er dies und ließ sich widerstandslos festnehmen.
Der verletzte 22-Jährige kam in die Medizinische Hochschule (MHH) nach Hannover, wo der Pfeil aus seinem Rücken entfernt wurde. Auch wenn die äußere Narbe verheilt sei, dauere es bei der inneren Narbe noch. Durch den Pfeil sind Muskeln verletzt worden. Das Opfer hatte kurz vor der Tat angefangen, bei einem Supermarkt zu arbeiten. Zurzeit ist er immer noch arbeitsunfähig, spürt immer wieder ein starkes Ziehen im Rücken und kann nicht schwer heben. Auch psychisch bereite ihm die Tat noch Probleme. Er habe noch Monate danach nur schlecht schlafen können und immer den gleichen Alptraum gehabt, dass er von einem Auto überfahren werde. Zum Bahnhof gehe er auch nicht mehr und wenn er rausgehe, dann nur in Begleitung.
Im weiteren Verlauf wurde der Tathergang nochmals rekonstruiert. Ein Taxifahrer, zwei Beamte des Polizeikommissariats Peine und eine Mitarbeiterin der Bahnticket-Agentur schilderten vor Gericht ihre Eindrücke von der Tat und der Festnahme. Dazu wurden Videoaufzeichnungen vom Tattag gezeigt und die telefonischen Notrufe angehört. Auffällig war, dass alle, auch das Opfer, den Angeklagten als ruhig beschrieben, er habe sich langsam bewegt und nichts gesagt – starrer Blick, keine Regung, emotionslos. Er habe den Eindruck gehabt, dass der Täter durch ihn hindurch schaue, gab einer der Polizisten an.
Die Aussage des Taxifahrers, der vom Angeklagten mit der Armbrust bedroht worden sein soll, wurde vor Gericht verlesen. Ein anderer Polizist erläuterte die Ermittlungsergebnisse des Staatsschutzes, weil wegen der Kleidung ein rechtsextremistischer Hintergrund im Raum stand. Im unweit des Bahnhofs geparkten Auto des 29-Jährigen stieß man auf weitere Pfeile, ein Kampfmesser, eine Stahlrute, einen Wurfstern und CDs mit rechter Musik. In seinen Wohnräumen auf einem Bauernhof in Eickenrode stellten Beamte zahlreiche NS-Devotionalien sicher. Der Verdacht auf eine rechtsextreme Zelle habe sich aber nicht erhärtet. „Es konnte nicht festgestellt werden, dass er in der rechten Szene tief verwurzelt ist“, sagte der Beamte aus. Auf drei Handys seien zwar rechtsgerichtete Audio-, Video- und Bilddateien gefunden worden, diese seien aber schon älter und der Angeklagte habe auch nichts davon versendet und verbreitet.
Ein ein gerichtsmedizinischer Sachverständiger stufte die Verletzung des Opfers als nicht akut lebensbedrohlich ein. Die Tat selbst sei aber lebensbedrohend gewesen und hätte tödlich ausgehen oder schwere Folgeschäden haben können. Eine Ärztin des Asklepios-Klinikums in Göttingen, in dem sich der Angeklagte zurzeit befindet, berichtete über die Behandlung. Der Angeklagte sei dort seit dem 30. Juni. Anfangs habe er auch dort Stimmen gehört und sich dann sofort an das Personal gewandt. Seit Anfang August sei dies aber nicht mehr geschehen. Er nehme die Therapieangebote an und komme gut in der Patientengemeinschaft zurecht.
Das Sicherungsverfahren wird am Dienstag, 19. Dezember, ab 9 Uhr vor dem Landgericht Hildesheim fortgesetzt.