Ariane Fäscher ist von der Sache überzeugt – und das felsenfest. „Das Ehrenamt ist das Rückgrat der Demokratie, weil man dabei vor Ort gemeinsam das eigene Umfeld gestaltet und sich so selbstwirksam fühlt“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsunterausschusses Bürgerschaftliches Engagement. „Zugleich gehört man zu einer Gemeinschaft.“ Tatsächlich deckt sich die Einschätzung der SPD-Politikerin in weiten Teilen mit dem, was die Deutschen insgesamt denken. Das jedenfalls ergibt sich aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), an der Mitte Dezember 1002 Frauen und Männer in Ost- und Westdeutschland teilnahmen.
Zwar gehen demnach nur fünf Prozent der Bundesbürger davon aus, dass die Bereitschaft von Menschen, sich ehrenamtlich zu engagieren, in Deutschland künftig zunehmen wird. Eine große Mehrheit von 61 Prozent nimmt das Gegenteil an. 95 Prozent der Befragten halten ehrenamtliches Engagement jedoch für den Zusammenhalt der Gesellschaft für wichtig oder sogar sehr wichtig. Am häufigsten als „sehr wichtig“ erachten es die ehrenamtlich Tätigen selbst; hier sind es 73 Prozent. Dies ist angesichts der Realität, dass ungefähr ein Drittel der Bundesbürger in der Freizeit ehrenamtlich tätig ist, zum Beispiel in einem Verein, einer Initiative, der Kirche, einer Gewerkschaft oder einer anderen Einrichtung, eine ganze Menge.
Nur weist dieses Engagement große Unterschiede auf. Auch sind bei Weitem nicht alle Befragten mit den Rahmenbedingungen zufrieden. So sind im Osten 29 Prozent der Befragten ehrenamtlich unterwegs, während die Quote im Westen mit 35 Prozent höher liegt – wenngleich nicht viel höher. Männer engagieren sich mit 35 Prozent häufiger als Frauen mit 33 Prozent. Das Engagement von Menschen mit Kindern (43 Prozent) ist wiederum ausgeprägter als das von Menschen ohne Kinder (32 Prozent). Dies dürfte mit dem Umstand zusammenhängen, dass sich Eltern unter anderem in Schulfördervereinen oft für ihre Kinder engagieren. Schließlich steigt das Engagement mit dem Einkommen. In Haushalten mit 4000 Euro netto monatlich und mehr ist es mit 36 Prozent am höchsten. Fachleute sagen, die tiefere Ursache dafür sei, dass einkommensstärkere Haushalte meistens die gebildeteren Haushalte seien. Bildung sei der Schlüssel.
Womit wir bei den Rahmenbedingungen wären. Eine große Mehrheit von 74 Prozent der von Forsa Befragten ist der Meinung, dass der Staat ehrenamtliches Engagement durch Vergünstigungen unterstützen sollte. Diejenigen, die sich grundsätzlich dafür aussprechen, fänden zusätzliche Punkte für die Rentenversicherung (58 Prozent) oder ein kostenloses Nahverkehrsticket (56 Prozent) angemessen. „Rentenpunkte“ halten überdurchschnittlich häufig die Jüngeren beziehungsweise Schüler und Studierende für adäquat. Ein kostenloses Nahverkehrsticket fänden insbesondere die Schüler und Studierenden attraktiv. Eine große Mehrheit (71 Prozent) plädiert ferner dafür, dass Unternehmen ehrenamtliche Mitarbeitende durch Freistellungen oder flexible Arbeitszeiten besser unterstützen sollten. Mit anderen Worten: Die Bereitschaft, sich für das Allgemeinwohl einzusetzen, ist da. Es ist aber nicht voraussetzungslos. Und es könnte besser abgerufen werden.
„Früher gingen Leute in einen Verein, arbeiteten da drei Jahre mit, wurden irgendwann Vorstand und blieben das manchmal ein Leben lang“, sagt Ariane Fäscher. „Das ist nicht mehr so. Junge Menschen oder Menschen in der Familienphase wollen sich eher punktuell, interessengeleitet und projektbezogen engagieren.“ Das führt neben Nachwuchssorgen dazu, dass es Vereinen zunehmend schwerfällt, Vorstände zu finden. Die Bundestagsexpertin rät Vereinen und Initiativen daher zu mehr Flexibilität. Sie sollten sich häufiger mal fragen, ob sie „schneller auf den Punkt kommen oder mehr digital machen“ könnten.
Abgesehen davon, dass die Deutschen nach der Corona-Pandemie „nicht wieder so richtig in die gesellschaftliche Interaktion gekommen“ seien, müsse außerdem der Staat besser handeln, so Fäscher. Es gelte, die Zivilgesellschaft von Bürokratie zu entlasten, die Bundeshaushaltsordnung entsprechend zu reformieren und die Fördermittelzusagen für Hauptamtliche zu verstetigen. „Ehrenamt braucht stabile Strukturen, damit es sich entwickeln kann, dazu gehören eben auch kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“
Die Sozialdemokratin hat klare Vorstellungen. „Ich wünsche mir ein Engagementfördergesetz, analog zum Demokratiefördergesetz – verbunden mit einer gemeinsamen Finanzierung von Bund, Ländern, Kommunen und der Wirtschaft“, sagt sie – etwa mit zusätzlichen Rentenpunkten oder freien Tickets für den öffentlichen Nahverkehr. „Mir wäre es im Übrigen am liebsten, wenn die Förderung des Ehrenamtes irgendwann eine kommunale Pflichtaufgabe würde“, so Fäscher. „Es wäre im Sinne der Demokratie.“