„Ich bekomme noch immer Gänsehaut, wenn ich an die Fahrt denke“, erinnert sich Jan-Philipp Schönaich vom Peiner Service-Club Round Table. Anfang März, nur wenige Tage nachdem Russlands Truppen die Ukraine besetzt hatten, machten sich zwölf Männer und eine Frau mit einem Hilfskonvoi auf den Weg in das Grenzgebiet zur Ukraine. Insgesamt 4000 Kilometer quer durch Europa.
Auf dem Hinweg wurden von Mitgliedern des Round Table Peine und Old Tablern dringend benötigte Hilfsgüter wie Babynahrung, Decken und Wasser ins Grenzgebiet gefahren, auf der Rücktour waren die sechs Kleinbusse mit 34 ukrainischen Flüchtlingen besetzt – 21 Frauen, zwölf Kinder und ein Baby auf den Weg in Sicherheit.
„Dieser Weg über die Karpaten mit voll beladenen Bussen, die am Rande ihrer Kapazitätsgrenzen waren, dann ein Schneesturm – das habe ich noch ganz genau in Erinnerung“, sagt Schönaich. Ebenso wie die große Hilfsbereitschaft der Menschen im Peiner Land. „Egal, wo wir angerufen haben, jeder hat geholfen“, erinnert sich der Schulleiter der Burgschule Peine, den vor allem auch die Spontanität bei dieser „Hauruck-Aktion“ noch heute staunen lässt. „Am Samstag hatten wir die Idee, am Montag und Dienstag haben wir gesammelt und am Mittwoch sind wir schon aufgebrochen“, fasst Schönaich die Ausnahmetage, die er vor zwei Jahren erlebte, zusammen. Die Hilfsbereitschaft sei immens gewesen. „Bis runter zum Ratsgymnasium standen die Leute an, um Spenden abzugeben“, so Schönaich, der damals die Burgschule als Sammelstelle bereitstellte. „Es herrschte ein Ausnahmezustand.“
Heute würden von den in Sicherheit gebrachten Frauen und Kinder keine mehr in Peine leben. „Viele hatten Familie oder Bekannte im Umland, dort sind sie untergekommen“, sagt Schönaich. Zudem hat Tabler Steven Geisler, der mittlerweile am Steinhuder Meer lebt, eine Flüchtlingsfamilie, die er unterstützt, ebenfalls in seiner neuen Heimat untergebracht. „Insgesamt betreue ich hier 17 Flüchtlinge“, sagt der Unternehmer aus Ilsede. „Ich helfe bei Amtsangelegenheiten, im Alltag, bei der Integrierung“, sagt Geisler. Von den damals geretteten Flüchtlingen würden heute etwa zehn gut integriert sein und bereits arbeiten. „Nicht jeder möchte auch hier bleiben“, betont Geisler. „Viele vermissen ihre Familien und möchten so schnell wie möglich zurück. Andere haben die Chance, die ein Leben in Deutschland bietet, erkannt und möchten sie nutzen.“
Würde er eine solche Hilfsaktion also immer wieder machen? „Es ist unsere Aufgabe zu helfen und ich mache es gern“, sagt Geisler, der wie Schönaich damals nicht lange über die Gefahren nachgedacht hat. „Doch eine solch spontane Aktion in diesem Umfang vermutlich nicht mehr. Gewisse Dinge muss man auch hinterfragen.“ So sei es gerade in den Dörfern eine „Löwenaufgabe“ gewesen, die Kinder in den Kindergärten und Schulen unterzubringen und zu integrieren. „Kita-Plätze sind rar, da hat nicht jeder gleich Verständnis, dass in diesem Fall eine Sonderregelung greift.“
In den Schulen lernen die Kinder häufig in extra eingerichteten Sprachlernklassen. Mehr als 40 ukrainische Kinder besuchen allein die Burgschule. Parallel machen die Kinder ihren Abschluss an der ukrainischen Schule – online. „Das ist wohl zunehmend schwieriger geworden“, meint Schulleiter Schönaich. „Die Infrastruktur ist nicht mehr überall ein der Ukraine so gut, dass der Unterricht weiter online stattfinden kann. Zumindest höre ich immer weniger davon.“ Aufgehoben sei diese Regelung allerdings nicht, meint Geisler. Nur würden sie eben nur Kinder nutzen, die auch anstreben, irgendwann wieder zurück in die Ukraine zu gehen.
Doch nicht nur die Tabler starteten vor gut zwei Jahren einen Hilfstransport in den Osten. Auch viele weitere von Peinern organisierte Hilfsgüter waren Anfang März gestartet. So hatte unter anderem auch der Landkreis Peine unter Federführung seiner Wirtschafts- und Tourismusfördergesellschaft (Wito) eine Sammlung organisiert. Ladung für zwei mächtige 40-Tonner war zusammengekommen, 66 Paletten hatten Ehrenamtliche in vielen Arbeitsstunden mit Hilfsgütern bestückt – von Babywindeln über Werkzeuge bis hin zu Medikamenten.
Wito-Mitarbeiterin Melitta Arz kam damals mit vielen älteren Peinern ins Gespräch, die Spenden abgegeben hatten. „Da waren viele dabei, die als Kind die Situation im oder nach dem Krieg erlebt haben und aus eigener Erfahrung wissen, was es bedeutet, auf der Flucht zu sein. Solidarität und Mitgefühl war deutlich zu spüren“, stellte sie fest. Zusammen mit ihrem Wito-Kollegen Armin Obermaier begleitetet sie in einem Auto den Hilfstransport, der die Güter in den Peiner Partnerkreis Oppeln nach Polen brachte. Dort wurden die Hilfsgüter für den Weitertransport in die Ukraine umgeladen. Es war eine Welle der Hilfsbereitschaft, die vor zwei Jahren durch den Landkreis schwappte. „Es hat mir gezeigt: Wir in Peine helfen, wenn es benötigt wird“, sagt Schönaich. „Wir können ganz schnell zusammenrücken.“