„Der Storch ist vor ein paar Tagen immer wieder um den Turm geflogen“, schildert die Anwohnerin Heike Brandes. „Er hat ein paar Landeversuche unternommen und ist ständig abgerutscht.“ Der Grund: Auf dem Dach des Wasserturms hat die Stadt eine Holzvorrichtung bauen lassen, die einen Nistversuch der Störche unterbinden soll. Viele Anwohner wundern sich über dieses Vorgehen und auch Peines Storchenbeauftragter Danny Baumgart findet es schade. „Der Storch hat mehrfach versucht, den Nistplatz anzufliegen, jetzt ist er weg“, schildert Baumgart.
Eigentlich seien Störche nesttreu. „Sie kehren jedes Jahr zurück“, erklärt der Experte. Jetzt könnte es dazu kommen, dass der Storch sich ein fremdes Nest erkämpft. „Das kann schon auch blutig oder gar tödlich enden“, sagt Baumgart. Deshalb hatte der Storchenbeauftragte gehofft, dass das Storchenpaar, das im letzten Frühjahr die Turmspitze des Wasserturmes für ihren neuen Horst ausgewählt hatte, in diesem Jahr erneut dort nisten und vielleicht sogar brüten könnte.
Das Problem: „Das Dach des Wasserturms muss nach dem Blitzeinschlag fachgerecht saniert werden“, sagt Moritz Becker, Sprecher der Stadt Peine. Im April 2023 war ein Gewitter über Schwicheldt hinweggefegt, ein Blitz war in die bis dato mit einer Sirene versehenen Turmspitze eingeschlagen. Anschließend fehlte das Türmchen der Spitze – die entstandene Flachdachfläche des denkmalgeschützten Gebäudes bot den perfekten Platz für ein Storchennest.
„Es stellte sich relativ schnell heraus, dass ein Storchen-Paar es ernst meinte und mit dem Nestbau begann“, sagt Fabian Laaß, Sprecher der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreis Peine. „Die Stadt Peine setzte sich daraufhin mit der Unteren Naturschutzbehörde in Verbindung und beantragte den Rückbau des Storchennestes. In Absprache zwischen der Stadt, der Unteren Naturschutzbehörde und dem Storchenbetreuer Danny Baumgart sollte eine Ausnahmegenehmigung für den Rückbau erteilt werden, sofern sich keine Eier im Nest befinden.“ Diese sei letztlich nicht erteilt worden. Die Stadt entschied, dass das Nest vorerst verbleiben kann.
Zu einem Bruterfolg kam es nicht, im Herbst zogen die Störche in den Süden. „Das Nest war nach den Herbst- und Winterstürmen nicht mehr vorhanden“, schildert Stadt-Sprecher Moritz Becker. „In Verbindung mit dem Nistversuch im Jahr 2023 wurde umfänglich geprüft, ob aus statischer und denkmalrechtlicher Sicht eine Nistmöglichkeit auf dem Wasserturm geschaffen werden kann.“
Dem Storchbeauftragen sei dies zu schleppend vorangegangen. „Ich habe mehrfach nachgefragt, wie es mit dem Turm weitergeht. Wir hätten schon längst einen Ersatzmast aufgestellt haben können“, so Baumgart. Zwar habe man bereits im Frühjahr 2023 gemeinsam nach einem geeigneten Standort für ein Storchennest geschaut, die von der Stadt angebotenen Plätze – etwa auf einem Spielplatz oder bei einer Kindertagesstätte – seien aber alles andere als optimal gewesen.
Die Stadt habe sich daraufhin nach eigenen Angaben auf die Prüfung einer dauerhaften Nisthilfe auf dem Wasserturm konzentriert. „Dies hat einige Zeit in Anspruch genommen“, sagt Becker. Das Ergebnis: „Eine Nisthilfe kann auf dem Wasserturm nach umfangreicher Prüfung nicht untergebracht werden, da hierzu das originale Dachtragwerk verstärkt und somit verändert werden müsste“, erklärt Becker. „Durch den zusätzlichen Aufbau einer Nisthilfe würde sich auch die Ansicht des Wasserturms verändern. Es kann außerdem nicht ausgeschlossen werden, dass die Denkmalsubstanz durch Kot dauerhaft geschädigt wird. Beide Aspekte würden dem Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz zuwider laufen.“
Der Turm war 2009 umfänglich mit Fördermitteln der Denkmalpflege saniert worden. „Er muss daher denkmalgerecht, das heißt mit bauzeitlichen Materialien und Ziegeln, im Originalzustand wieder instandgesetzt werden. Insbesondere die Ziegel sind in dem ursprünglichen Format nicht mehr als Standardware verfügbar und es laufen Bemühungen, diese über die Landesgrenzen hinaus zu beziehen“, schildert Becker. „Da dies noch einige Zeit in Anspruch nehmen kann, wurde kurzfristig die Notabdichtung überprüft und für eine längere Standzeit ertüchtigt, gleichzeitig sollte ein erneutes Nisten von Vögeln gehemmt werden. Für die Sanierung hätte ein Nest in jedem Fall entfernt werden müssen.“
Der Storchenbeauftragte hat Verständnis für diese Einwände der Stadt. „Ich hätte mir nur eine etwas bessere Kommunikation gewünscht, damit wir jetzt schon eine Alternativlösung hätten“, so Baumgart. Ob überhaupt ein Ausgleichsmast aufgestellt wird, ist nämlich weiterhin unklar. „Wir befinden uns mit dem Landkreis in Abstimmung, ob ein Ausgleichsmast erforderlich ist“, so Becker.
Im vergangenen Jahr konnte der Storchenbeauftragte 47 Nestpaare im Landkreis zählen. Fast 30 seien in diesem Frühjahr bereits zurück. Baumgart prognostiziert, dass es jährlich noch mehr Störche in der Region geben wird. „Durch den Klimawandel fliegen die Störche eine wesentlich ungefährlichere Route über Frankreich, Portugal und Spanien. Dort bleiben sie häufig den Winter über“, erklärt Baumgart. Die gefährliche Ost-Route bis nach Afrika würden sie kaum noch fliegen, die Sterberate sei dadurch geringer.
Die Identität der beiden Störche, die im letzten Jahr auf dem Wasserturm genistet haben, ist übrigens bekannt: Das eine Tier stammt nach Angaben von Danny Baumgart aus Tschechien, das andere wurde 2020 in Wendezelle beringt und ist damit ein waschechter Peiner.