Darum gibt es keine
Amok-Übungen für Schüler
Nach dem Großeinsatz der Polizei an der Bodenstedtschule in Peine bleiben viele Fragen

An der Bodenstedtschule in Peine gab es eine Amok-Lage.Foto: Ralf Büchler
Kreis Peine. Es war ein Schock für Schüler und Lehrer: Nach dem Amok-Alarm an der Bodenstedtschule in Peine, dem ein Großeinsatz mit fast 100 Polizisten folgte, beschäftigt das Thema die Menschen noch immer. Vor allem wirft es viele Fragen auf. Wir haben beim Innen- und beim Kultusministerium des Landes Niedersachsen nachgefragt und spannende Antworten bekommen.Gibt es an Niedersachsens Schulen Konzepte für Amok-Lagen?Schulen müssen für verschiedene Krisen-Szenarien (Feuer, Todesfall, Gewalt, Amokdrohung etc.) Präventions- und Notfallpläne aufstellen und regelmäßig aktualisieren. Darin ist geregelt, was zu tun ist und welche Maßnahmen eingeleitet werden müssen. Zudem steht allen Schulleitungen und Lehrkräften die Amok-Präventionsbroschüre des Landeskriminalamtes zur Verfügung. Mit Blick auf Amok-Drohungen gilt ausnahmslos, dass jeder Fall ernst zu nehmen und daher unmittelbar die Polizei zu alarmieren ist.

Die Gefährdungsanalyse der konkreten Lage wird von der Polizei in Zusammenarbeit mit Schule, RLSB, Jugendamt und dem Sozialpsychiatrischen Dienst durchgeführt. In Schulen werden mindestens einmal pro Schuljahr Evakuierungsübungen durchgeführt.

Bei gemeinsamen Notfallübungen des Schulpersonals mit der Polizei werden klar definierte Handlungsabläufe trainiert. Das eingeübte Verhalten kann dem Schulpersonal die Sicherheit vermitteln, die im Umgang mit Krisensituationen notwendig ist.

Amok-Übungen mit den Schülern gibt es aber nicht, damit keine Ängste entstehen oder Amok als Möglichkeit zur Problemlösung ins Bewusstsein gerückt wird. Das Thema sollte mit den Schülern nur bei konkreten Anlässen mit unmittelbarem örtlichen Bezug behandelt werden.

Wie ist die Polizei auf solche Situationen vorbereitet?

Seit 2005 entwickelt die Polizei Niedersachsen Aus- und Fortbildungskonzepte für Einsatzlagen mit besonderem Gefährdungsgrad, die stetig aktualisiert und angepasst werden. Die Einsatzkräfte werden speziell vorbereitet, auch in Bezug auf den möglichen psychischen Druck. Darüber hinaus wurden die Verfügungseinheiten personell und in der Interventionstätigkeit gestärkt und es gibt vermehrt Fortbildungen.

Wer kümmert sich um die Betroffenen?

Bei Einsätzen mit gravierenden Folgen gibt es innerhalb der Polizei Niedersachsen Betreuungskonzepte unter Einbeziehung von Fachkräften und besonders qualifizierte Beamtinnen und Beamten. Diese Konzepte umfassen sowohl die Betreuung der Einsatzkräfte als auch die der betroffenen Personen. Darüber hinaus unterstützt der Landesbeauftragte für Opferschutz mit seiner Geschäftsstelle unter anderem auch Betroffene etwaiger sogenannter straftatbezogener Großschadensereignisse, wie etwa Terroranschläge oder Amokläufe.

An Schulen werden nach dem Ende eines akuten Polizeieinsatzes mit Unterstützung zum Beispiel der Schulpsychologie erste Bedarfe abgearbeitet und das weitere Vorgehen geplant. Das können etwa Elterninformationen zum Umgang mit belasteten Kindern sein. Wenn erforderlich, gibt es Gesprächsangebote oder die Klassen bekommen Gelegenheit, mit ihren Lehrkräften über das Erlebte zu reden. Die Maßnahmen richten sich nach dem Bedürfnis der Betroffenen, das sehr unterschiedlich sein kann.

Können Amok-Lagen verhindert werden? Wie kann man vorbeugen?

Die Wissenschaft ist sich einig, dass Maßnahmen oder Programme zur Verhinderung von Gewaltexzessen breit angelegt sein sollten und nur eingeschränkt eine polizeiliche Aufgabe sind. Gefragt sind hier Institutionen wie Kindergärten, Schulen, Vereine, Jugendämter und freie Träger der Jugendhilfe. Diese können viel früher und wirksamer als die Polizei auf potenzielle Täter einwirken.

Wichtig ist, dass junge Menschen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden, ihnen Erfolgserfahrungen verschafft und beim Abbau von Ängsten und Frust geholfen wird. All dies sollte selbstverständlicher Bestandteil von kinder- und jugendorientierten Angeboten sein, aber natürlich spielen auch Eltern und weitere Familienangehörige eine wichtige Rolle. Die Polizei nimmt in diesem Zusammenhang eine wichtige, aber eher beratende Stellung ein.

Wie sieht es mit der Sicherheit während der Schulzeit aus?

Ein Runderlass regelt, dass die Schulen während der Zeit des Schulbesuchs für den Schutz und die größtmögliche Sicherheit der Schülerinnen und Schüler verantwortlich sind. Straftaten und strafbares Verhalten innerhalb und auch außerhalb der Schule sollen verhütet werden. Die Schulen sind angehalten, strafrechtlich relevante Vorfälle an die Polizei zu melden. Dazu stehen Schulen und Polizei in regelmäßigem Kontakt.

Als einen Baustein der Gewaltprävention bietet die Polizei ihre Beteiligung bei schulischen Projekten an und informiert Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte über die strafrechtlichen Aspekte physischer und psychischer Gewalt.

Und was ist, wenn es den Verdacht auf eine bevorstehende Tat gibt?

Wenn die Befürchtung besteht, dass eine bestimmte Person Fantasien zu einem eigenen Amoklauf entwickelt oder bereits konkret mit der Planung einer solchen Tat beschäftigt ist, ist die Polizei der richtige Ansprechpartner. Sie bietet Unterstützung bei der Beurteilung der Situation, nutzt eigene Informationswege und trifft geeignete Maßnahmen zur Verhinderung einer Tat. Auch in Fällen einer Amokdrohung ist die Polizei als Beraterin und Spezialistin in Sicherheitsfragen und für Gefahrenanalysen verantwortlich. Alle Hinweise werden ernst genommen und geprüft, der weitaus überwiegende Teil stellt sich dabei nicht als Bedrohung dar.

Kann man am Gebäude Vorsichtsmaßnahmen treffen?

Ja, und technische und bauliche Vorkehrungen sind wohl die greifbarste Form zur Verhinderung oder Erschwerung von Amoktaten beziehungsweise zur Verminderung der Folgen. Dem Schulträger kommt eine besondere Verantwortung zu. Maßnahmen sollten auf die jeweiligen Gegebenheiten abgestimmt sein. Auch hier berät die Polizei.

Gibt es viele Amok-Lagen in Niedersachsen?

Amok-Taten an Schulen sind in Niedersachsen extrem seltene Ereignisse. So wurden in den letzten Jahren seit 2020 in Niedersachsen keine derartigen Ereignisse bestätigt festgestellt. Die häufigsten Situationen in der Thematik sind allerdings Androhungen von beziehungsweise Hinweise auf derartige Ereignisse, zumeist öffentlich und anonym. Diese gehen telefonisch oder per Brief in der Schule ein, werden im Schulflur angebracht vorgefunden, laufen als E-Mail auf oder werden in den sozialen Medien kommuniziert.

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