Einige der Frauen, die eine Beratung von Kathrin Sahin und ihren Kolleginnen erhalten, werden im Peiner Frauenhaus aufgenommen. Bislang fanden 2024 dort 52 Frauen Schutz, 96 weitere Frauen mussten abgewiesen werden - in den meisten Fällen war kein Platz mehr frei. Für sie wird dann eine andere Unterkunft gesucht. „Wir haben ein Ampelsystem“, erklärt die Leiterin des Peiner Frauenhauses, Stefanie Weigand. „Alle Frauenhäuser haben sich verpflichtet, dort ihre freien Kapazitäten zu melden.“ Das Peiner Frauenhaus hat insgesamt 25 Plätze: 11 für Frauen und 14 für Kinder.
Die Entwicklung der Fallzahlen betrachtet Weigand mit großer Sorge. „Die Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft tritt immer offener zutage“, sagt sie. „Das fängt bei männlichen Influencern an, die im Internet erklären, dass man Mädchen ruhig eine runterhauen darf, wenn sie nicht das tun, was man will.“ Gewalt gegen Frauen sei kein Problem der Frauen, sondern eines der Gesellschaft, betont die Frauenhausleiterin. Deshalb hatte sie auf das geplante Gewalthilfegesetz gehofft, doch angesichts des Bruchs der Ampel-Koalition scheint dessen Verabschiedung in weite Ferne gerückt. „Es wäre für alle so wichtig gewesen“, betont Weigand. „Es ist eine Katastrophe. Wir haben alle so darauf gewartet.“
Mit dem Gewalthilfegesetz hätte es einen Rechtsanspruch gegeben: Dieser hätten den Frauen - und ihren häufig mitbetroffenen Kindern - Zugang zu Schutz und Beratung in Fällen von häuslicher Gewalt garantiert. „Seit der Gründung des ersten Frauenhauses in der Bundesrepublik gehörten diese immer zu den freiwilligen Aufgaben. Trotz der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention wurde nie ein Gesetz für die Gewalthilfe hinterlegt“, kritisiert Weigand. Dabei hätten die Frauenhäuser der Konvention zufolge seit 2018 eine Pflichtaufgabe sein müssen. Stattdessen müsse das Peiner Frauenhaus jedes Jahr einen Antrag auf Förderung stellen - sowohl beim Landkreis Peine, dem größten Geldgeber für die Einrichtung, und dem Land Niedersachsen. „Es ist ein großer Bürokratie-Aufwand und immer auch eine Unsicherheit, ob der Antrag durchgeht“, beschreibt die Leiterin. Auch wenn die Unterstützung der Peiner Verwaltung und Politik für die Einrichtung groß sei und der Schutz von Frauen hier sehr ernst genommen werde, bleibe es eine Zitterpartie.
Darüber hinaus wäre das Gesetz auch eine Möglichkeit gewesen, die Kommunen finanziell entlasten. Denn dann hätte der Bund einen Teil der Kosten übernommen. „Gerade angesichts der Haushaltssituation vieler Kommunen wäre das angebracht gewesen“, so Weigand.
Das Team des Peiner Frauenhauses hatte sich an einer Studie des Bundesfamilienministeriums beteiligt, das Grundlage für die Ausgestaltung des Gesetzes war. Darüber hinaus hatte sich die Einrichtung auch dem offenen Brief „Gewalthilfegesetz jetzt“ des Vereins Frauenhauskoordinierung angeschlossen und ihn an das Bundeskanzleramt, das Familienministerium und das Finanzministerium geschickt. Eine Antwort gab es Weigand zufolge allerdings nicht.
Die Peiner Frauenhausleiterin sieht die Chancen für das Gewalthilfegesetz gescheitert: „Wir sind maßlos enttäuscht. Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu, es betrifft alle Schichten - davor kann die Gesellschaft nicht die Augen verschließen.“ Die aktenkundigen Fälle seien nur die Spitze des Eisbergs. „Darunter gibt es eine riesige Grauzone, die nur geschätzt werden kann.“