In den Wochen zuvor hatten an zwei Warnstreiktagen jeweils rund 100.000 Beschäftigte an den Volkswagen-Standorten gegen die Kürzungspläne des VW-Vorstands protestiert. Auch in Salzgitter legten Tausende die ARrbeit einmal für zwei und einmal für vier Stunden nieder. „Ohne diese massive Beteiligung wäre die Abkehr des Vorstandes von seinen drastischen Plänen nicht möglich gewesen“, schreibt die IG Metall.
„In einem für Volkswagen beispiellosen Tarifkampf unter historisch widrigen wirtschaftlichen Bedingungen ist es uns gelungen, für die Beschäftigten an den Volkswagen-Standorten eine Lösung zu finden, die Arbeitsplätze sichert, Produkte in den Werken sicherstellt und zugleich wichtige Zukunftsinvestitionen ermöglicht. Damit zeigen wir entgegen dem aktuellen Mainstream vieler Chefetagen: Zukunftslösungen sind ohne Massenentlassungen möglich. Wir setzen ein klares Signal gegen die vielfach gängige Managementpraxis, kurzfristige Renditen durch Entlassungen in Deutschland zu erkaufen“, erklärt Thorsten Gröger, IG Metall-Verhandlungsführer.
Daniela Cavallo, Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, führt aus: „Kein Standort wird dichtgemacht, niemand wird betriebsbedingt gekündigt und unserer Haustarifs wird langfristig abgesichert. Mit diesem Dreiklang haben wir unter schwierigsten konjunkturellen Bedingungen eine grundsolide Lösung erkämpft. Zwar gibt es tarifliche Zugeständnisse jenseits der monatlichen Einkommen – dem gegenüber stehen aber der solidarisch erwirkte Erhalt aller Standorte samt Zukunftsperspektiven, eine neue Beschäftigungssicherung bis Ende 2030 und nicht zuletzt die Gewissheit für den Vorstand, dass bei Volkswagen Veränderungen gegen den Willen der Belegschaft zum Scheitern verurteilt sind.“
Ausgangslage war eine Unternehmensplanung des Volkswagen-Vorstandes, die eine Abkehr von deutschen Produktionsstätten vorsah. Ein Streichen von Investitionen würde dazu führen, dass wichtige Modellentscheidungen verschoben oder technologische Investments, beispielsweise in Zukunftsfelder wie die Batteriezelle, nicht in ausreichendem Maße getroffen werden. Demzufolge wären Werksschließungen Hand in Hand mit dem Standortsterben auf Raten in den verbleibenden Regionen gegangen. Zudem hatte sich die Volkswagen-Führung mit der Kündigung der Beschäftigungssicherung den Weg für betriebsbedingte Kündigungen ab Mitte des kommenden Jahres freigemacht.
„Versäumnisse aus der Vergangenheit, die dringende Notwendigkeit, in den technologischen Wandel zu investieren, sowie unsichere politische Rahmenbedingungen und eine verunsichernde politische Debatte haben Volkswagen, dessen Zukunft vor allem den eigenen Beschäftigten am Herzen liegt, in eine der herausforderndsten Situationen seiner Unternehmensgeschichte gebracht. Frühzeitig hat die Arbeitnehmerseite deutlich gemacht: Alle Werke brauchen Perspektive, und die Transformation gestaltet man nur mit der Belegschaft, niemals gegen sie“, führt Thorsten Gröger weiter aus.
Mit der Tarifverständigung konnten das Schließen ganzer Standorte, betriebsbedingte Kündigungen sowie ein Eingriff in die monatlichen Entgelte abgewendet werden – VW forderte unter anderem ein sofortiges pauschales Gehaltsminus von zehn Prozent. Die IG Metall hat nach eigener Einschätzung frühzeitig die Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen erkannt, stets aber dafür plädiert, dass diese nicht einseitig auf dem Rücken der Beschäftigten getroffen werden dürfen. Dass eine Antwort auf Überkapazitäten und die Finanzierung von Zukunftsinvestitionen gefunden werden muss, ist Konsens.
„Wir haben in großer Verantwortung nun ein Paket geschnürt, das schmerzliche Beiträge der Beschäftigten beinhaltet, aber im gleichen Atemzug Perspektiven für die Belegschaften schafft. Dabei bringen die Arbeitnehmer temporär tarifliche Bestandteile, wie zum Beispiel Teile der Ergebnisbeteiligung, ein. Für die Zukunft soll das Entgeltsystem modernisiert werden. Im Gegenzug erhalten tausende Familien einen sicheren Zukunftsrahmen und die Kommunen Planbarkeit. Das ist gerade vor dem Weihnachtsfest ein wichtiges Zeichen der Stabilität und Verlässlichkeit. Gleichzeitig darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass der VWVorstand seine Hausaufgaben machen muss: Technologieführerschaft mit den besten Modellen, der besten Wertschöpfungskette und weiterhin den besten Beschäftigten“, sagt Thorsten Gröger.
Unter anderem haben sich die Tarifvertragsparteien auf folgende Eckpunkte verständigt. Der IG Metall gelang es, nachdem Volkswagen die bisherige Beschäftigungssicherung im September gekündigt hatte, eine neue Jobgarantie durchzusetzen. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2030 ausgeschlossen. Sollte nach Auslauf keine Anschlussregelung vereinbart werden, müsste das Unternehmen eine Milliarde Euro an die Beschäftigten ausschütten.
Entgeltplus als Beitrag zur Beschäftigungssicherung: Die Gewerkschaft hatte im November einen umfassenden Plan für die Zukunft Volkswagens präsentiert. Dieses Konzept lehnte das Unternehmen öffentlich ab, nun wird es Anwendung finden. Eine Entkopplung vom Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie wurde im Kern abgewendet. Dort wurde im November 2024 ein Tarifergebnis erzielt, welches eine tabellenwirksame Erhöhung von gut 5 Prozent für die Beschäftigten vorsieht. Diese Erhöhung wird bei Volkswagen zunächst ausgesetzt. Das zusätzliche Plus dient bis 2030 als Teilfinanzierung von Instrumenten zum Umgang mit Personalüberhängen ohne betriebsbedingte Kündigungen, aus dem zum Beispiel flexibel Arbeitszeitabsenkungen mit teilweisem Entgeltausgleich erfolgen und erweiterte Altersteilzeitangebote finanziert werden können. Ab 1.1.2031 erhöht sich die Entgelttabelle um diese gut 5 Prozent real. Bereits ab 2027 können künftige Tarifrunden auch bei Volkswagen für neue Entgeltsteigerungen noch vor 2030 sorgen.
Ferner verständigten sich die Tarifvertragsparteien auf eine Überarbeitung des inzwischen jahrzehntealten Entgeltsystems. Die Analyse dafür beginnt im Jahr 2025, zum 1. Januar 2027 soll eine Umsetzung erfolgen. In Sachen Ergebnisbeteiligung, Boni und Urlaubsentgelt bringen die Beschäftigten im Tarifbereich ab 2026 für zwei Jahre (2026 und 2027) vollständig die Mai-Zahlung der Ergebnisbeteiligung als Beitrag ein. In den Folgejahren (also ab 2028) wird die Mai-Zahlung nur reduziert ausgezahlt, prozentual aufsteigend, bis die Beschäftigten für das Geschäftsjahr 2030 wieder die volle Ergebnisbeteiligung erhalten.
Auch für die Jubiläumsgratifikationen, die beiden Haustarifverträge und die Ausbildungsplätze gibt es detailreiche Regelungen. Der Konzern bietet demnach 600 Ausbildungsplätze an sowie Stellen für dual Studierende an den Standorten des Haustarifvertrags.