Am 15. Februar 2024 war eine Kollegin für den erkrankten 41-Jährigen eingesprungen, bearbeitete seine Akten weiter. Erst fiel ihr nur ein falsches Aktenzeichen auf.
Beim genauerem Hinsehen entdeckte sie auf einer Anweisung eine Empfänger-Kontonummer eines Rechtsanwalts, die sie nicht zuordnen konnte. In der Geschäftsstelle des Sozialgerichts, in der sie und ihr angeklagter Kollege arbeiten, werden unter anderem Prozesskostenhilfen an Rechtsanwälte überwiesen, da die Kläger meist mittellos sind. Durch ihre langjährige Erfahrung kannte sie die IBAN der Rechtsanwälte auswendig und wurde stutzig.
Bei ihrer Überprüfung stellte sie fest, dass die falsche IBAN in den letzten Jahren immer wieder benutzt wurde und keinem Rechtsanwalt zuzuordnen war. Es stellte sich heraus, dass die IBAN zum Privatkonto des 41-Jährigen und seiner 42-jährigen Ehefrau gehörte.
„Dem Angeklagten wurden sofort die Dienstgeschäfte untersagt und Strafanzeige gestellt“, so Christian Lauenstein, Pressesprecher am Landessozialgericht in Celle.
Am 28. Februar wurde dann von Kriminalbeamten in Zivil sein Einfamilienhaus in Vechelde durchsucht, um nach elektronischen Kommunikationsmittel und anderen Beweismitteln zu suchen. Am 14. März 2024 stellten schließlich die Ermittler in seinem Büro Akten und Computer sicher.
Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten soll der 41-Jährige seine Befugnisse missbraucht und fiktive Rechtsanwaltsvergütungen auf sein eigenes Konto überwiesen haben, so Christian Wolters, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig.
Aufgrund der Verjährung der ältesten Taten können nur Auszahlungen seit dem 22. Februar 2019 angeklagt werden. Dabei handelt es sich um 1363 Fälle mit einem Gesamtschaden von 861.728,63 Euro.
„Es ist der größte finanzielle Schaden für das Land Niedersachsen, den es bislang in vergleichbaren Fällen gegeben hat“, so Christian Wolters weiter. Der 41-Jährige und seine Ehefrau sollen mit den zu Unrecht erhaltenen Geldern einen gehobenen Lebensstandard geleistet haben und unter anderem auf Kreuzfahrten gegangen sein.
Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass die Ehefrau von der Herkunft der Gelder wusste. Bisher konnten rund 50.000 Euro sichergestellt werden. Auch wurde eine Sicherungshypothek auf das Einfamilienhaus des Ehepaares eingetragen.
Der angeklagte Rechtspfleger ist in vollem Umfang geständig. Nicht nur die Führung der Dienstgeschäfte wurde ihm untersagt, sondern er wurde aus dem Dienst enthoben. Nach geltendem Beamtenrecht wurden seine laufenden Dienstbezüge um 35 Prozent gekürzt.
„Zum weiteren Vorgehen muss der Ausgang des Strafverfahrens abgewartet werden“, so Christian Lauenstein vom Landessozialgericht. Wird der 41-Jährige zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt, endet das Beamtenverhältnis automatisch mit Rechtskraft des Urteils.
Bei der Anklage wegen gewerbsmäßigen Untreue liegt das Strafmaß zwischen sechs Monaten bis zu zehn Jahren. In einem vergleichbaren Fall in Brake an der Unterweser wurde ein Rechtspfleger zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Er hatte 700.000 Euro veruntreut.
Nach diesem Fall in Brake wurde Mitte 2019 in der niedersächsischen Justiz das Vier-Augen-Prinzip eingeführt. Das hielt den Rechtspfleger aber nicht davon ab, mit den Geldanweisungen auf sein Konto weiterzumachen. Er soll sich Tricks überlegt haben, um seine Kollegen zu täuschen.
Noch ist nicht klar, wann der Prozess vor dem Landgericht Braunschweig startet. Ein Hauptverhandlungstermin ist noch nicht anberaumt.