„Das war ein sehr emotionaler Besuch in Peine“, sagt Driest, der nach mehreren Zwischenstationen inzwischen auf der Insel Rügen lebt und dort als Redakteur arbeitet. Grund der Reise war der Tod seines Cousins Klaus Schoknecht, dem letzten Geschäftsführer der Mälzerei Heine.
Die Villa wurde 1960 von Kurt Driest für dessen große Patchworkfamilie gebaut. Er hatte in zweiter Ehe Magdalene Heine geheiratet, die aus der Mälzerei-Familie stammte. Die Eheleute lebten mit fünf Kindern - drei Jungen und zwei Mädchen - in dem großzügigen Haus. Die Mutter ist 1983 verstorben. Der Vater hat das Anwesen Mitte der 1980er Jahre verkauft, nachdem alle Kinder ausgezogen waren.
„Als wir eingezogen sind, war die Kastanienallee noch nicht asphaltiert. Wir Kinder haben uns mit Pferdeäpfeln beworfen, und im Herzberg haben wir Cowboys und Indianer und später Perry Rhodan gespielt“, erinnert sich Driest, der 1956 in Peine geboren wurde.
Von der ersten bis zur vierten Klasse hat er die Bodenstedtschule besucht, die damals noch eine Volksschule war. Dann ist er aufs Ratsgymnasium gewechselt. „Ich habe viele Erinnerungen an meine Jugendzeit in Peine - etwa an die Hagenschänke oder wie wir mit Wein und Brot auf den Stufen der Jakobikirche gesessen haben oder wie ich auf der Rückfahrt aus der Disko ‚Farmers Inn‘ in Uetze mein erstes Auto, einen VW-Käfer, zu Schrott gefahren habe“, blickt er zurück.
Das Abitur hat er allerdings an einem Internat gemacht. Deshalb hat er nur noch wenig Kontakt zu früheren Freunden und Bekannten. „Ich würde mich aber freuen, wenn sich das ändert und sich jemand bei mir meldet“, sagt er.
Der Rundgang durch sein Elternhaus sei mit einem Wechselbad der Gefühle einhergegangen. „Zwar wurde viel modernisiert, und auch den Pool im Garten gab es früher noch nicht, aber am eigentlichen Grundriss hat sich kaum etwas verändert. Deshalb habe ich viel wiedererkannt“, sagt Driest. Dennoch habe es für ihn hinter vielen Türen eine Überraschung gegeben. „Der Partykeller etwa, der mit Matratzenlager und Stereoanlage aus meiner Sicht damals das Herzstück des Hauses war, ist heute ein Wellnessbereich“, nennt er ein Beispiel.
Etwas Besonderes sei das Betreten seines früheren Kinderzimmers gewesen. „Da war mir schon ein wenig mulmig. Als ich durch die Tür getreten bin, hatte ich sofort jedes Möbelstück vor Augen, ebenso wie den römischen Streitwagen, den ich als Junge an die schräge Wand gemalt hatte“, schildert er.
Dort, wo schon früher der Familienesstisch stand, befindet sich auch heute einer. „Ich durfte an derselben Stelle sitzen wie früher“, freut sich der Senior.
„Die derzeitigen Besitzer haben das Haus mit kunstsinnigem Geschmack zu einem zeitgemäßen Schmuckstück werden lassen. Ich würde mir wünschen, dass die ‚Villa Driest‘ auch nach dem kommenden Verkauf einen Hausherrn findet, der es in Ehren hält", fasst der ehemalige Bewohner zusammen.
Abgerundet wurde der Besuch in Peine mit einer Stippvisite zur Gründerzeitvilla an der Zehnerstraße, die von Uwe Driests Urgroßvater Wilhelm Heine erbaut wurde. Deren Schicksal ist ein gänzlich anderes: Sie ist seit vielen Jahren unbewohnt und verfällt zusehends. Im Internet wird sie als „Lost place“ beschrieben.„Wenn wir in die Badeanstalt fuhren, haben wir unsere Räder in der Malzfabrik abgestellt. Ich erinnere mich noch gut an den Duft des gerösteten Malzes, und der Malzmeister gab uns immer eine Schale mit gerösteten Körnern zum Probieren“, erinnert sich Driest.
Seine Mutter habe in der Mälzerei gearbeitet. „Wenn sie im ‚Kontor‘ beschäftigt war, spielten wir Kinder oft in dem Büroraum, den man durch eine schwingende Flügeltür erreicht hat", blickt er zurück. Das historische Bürogebäude wurde inzwischen abgerissen. „Ich hoffe, dass der Familienvilla dieses Schicksal erspart bleibt“, sagt der Wahl-Rügener.
„Seit meiner Kindheit hat sich in Peine so viel verändert. Wo die großen Silos der Malzfabrik Heine standen, entstehen jetzt Mehrfamilienhäuser. Und die roten Wolken aus den drei Schornsteinen des Walzwerks sind ebenfalls Vergangenheit“, blickt Driest zurück. Seine Geschwister Dagmar, Friedhelm und Inge leben in verschiedenen deutschen Städten.
Das fünfte Kind der Familie war der 2020 gestorbene Schauspieler Burkhard Driest, der eine ungewöhnliche Biografie aufweisen kann: Kurz vor dem Ende seines Jura-Examens überfiel er die Sparkasse in Burgdorf und wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Aufgrund seiner juristischen Vorbildung übernahm er die Vertretung der Mitgefangenen. Seine kriminelle Vergangenheit verarbeitete er in einem Roman, der verfilmt wurde und ihm zum Erfolg verholfen hat.