Es ist früher Morgen, die Sonne glimmt durch das junge Grün, Tau glänzt auf den Wiesen, ein Specht klopft irgendwo in der Ferne, und auf dem Feldweg hinterm Wohngebiet trottet Charly, ein weiß-roter Havaneser, brav seinem Menschen hinterher. Normalerweise dürfte Charly jetzt frei laufen – schnüffeln, tollen, ein Häschen aufscheuchen und triumphierend bellen. Doch heute ist etwas anders: Charly ist angeleint. Und das wird in den kommenden Wochen auch so bleiben müssen. Denn: Der 1. April markiert nicht nur den inoffiziellen Start in die Gartensaison, sondern auch den Beginn der sogenannten Brut- und Setzzeit – und damit der Leinenpflicht.
Zwischen dem 1. April und dem 15. Juli gilt in Niedersachsen eine besondere Regel: Hunde dürfen in der freien Landschaft nicht mehr frei laufen. Die Stadt Peine weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Einhaltung der Leinenpflicht hin. Kontrolliert wird das Ganze vom städtischen Ordnungsaußendienst – in der Regel mit Augenmaß.
„Meistens bleibt es bei einem Hinweis oder einer Ermahnung“, sagt Nina Bröker, Sprecherin der Stadt. Wer sich uneinsichtig zeigt oder wiederholt gegen die Regel verstößt, muss allerdings mit einem Bußgeld von mindestens 75 Euro plus Verwaltungsgebühren rechnen. Auch wenn es in der Vergangenheit nur zu zwei bis drei Verfahren jährlich kam: Die Zahl allein sagt wenig über die Bedeutung der Maßnahme aus.
Denn was nach bürokratischer Gängelung klingt, ist tatsächlich ein zentraler Beitrag zum Schutz unserer heimischen Tierwelt. Wie der Naturschutzbund (NABU) erklärt, wird die Natur zwischen April und Juli zur Kinderstube. Bodenbrütende Vogelarten wie Rebhuhn, Feldlerche oder Kiebitz legen jetzt ihre Eier. Junge Hasen und Frischlinge kommen zur Welt. Viele Wildtiere sind trächtig, schutzlos und vor allem – störanfällig. Ein nicht angeleinter Hund, so verspielt und friedlich er auch sein mag, kann für Wildtiere eine existenzielle Bedrohung darstellen. Selbst wenn er nicht jagt, reicht oft schon seine bloße Präsenz oder das Aufstöbern eines Nestes, um bleibenden Schaden anzurichten.
Rein juristisch basiert die Leinenpflicht auch im Landkreis Peine auf § 7 der Verordnung zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Sie zählt zu den allgemeinen Sorgfaltspflichten jedes Hundehalters – wie auch das Aufsammeln der Hinterlassenschaften. Wer seinem Hund in dieser Zeit dennoch artgerechten Freilauf ermöglichen möchte, kann beispielsweise auf die ausgewiesene Hundewiese im Ortsteil Telgte ausweichen. Doch das Thema geht über Rechtsnormen hinaus. Der NABU nennt eine ganze Reihe von Verhaltensregeln, die für alle Naturnutzer gelten sollten – nicht nur für Hundebesitzer: Wege nicht verlassen, keinen Müll hinterlassen, kein Feuer machen, Rücksicht nehmen – kurz: achtsam sein. Denn Lärm, Abfall oder das versehentliche Betreten von Ruhezonen können für Tiere ebenso bedrohlich sein wie ein stöbernder Vierbeiner.
Zudem verschiebt der Klimawandel vieles: Die Vegetationsperiode beginnt früher, damit auch die Brutzeit. Was früher als Ausnahme galt, ist heute immer öfter schon im März Realität. Entsprechend appelliert der NABU an eine vorzeitige Rücksichtnahme.
Natürlich fällt es vielen Haltern schwer, ihrem Hund die gewohnte Freiheit zu verwehren. Wer je gesehen hat, wie ein Tier mit fliegenden Ohren durch das Gras prescht, weiß: Das ist Lebensfreude pur. Doch gerade darin liegt unsere Verantwortung – weil wir als Menschen die Konsequenzen unseres Handelns überblicken können. Die meisten Peiner Hundebesitzer, so die Stadtverwaltung, reagieren übrigens durchaus verständnisvoll auf Hinweise.
Charly, unser Havaneser vom Anfang, schnüffelt inzwischen zufrieden am Wegesrand. Die Leine stört ihn kaum. Vielleicht ahnt er ja, dass es nicht nur ums Gassigehen geht – sondern darum, Rücksicht zu nehmen auf eine Welt, die sich gerade neu erfindet. Jeden Frühling aufs Neue.