Mit Leib und Seele arbeitete Julia Davids seit 2012 als Rettungssanitäterin. Beim DRK lernte sie ihren Ehemann Henning, einen Notfallsanitäter, kennen. Am 5. August 2020 heirateten sie sogar in ihrer Dienstkleidung, fuhren die letzten vier Jahre als Team im Rettungswagen. Als sie einen an Covid-19 erkrankten Patienten Ende November 2021 ins Krankenhaus brachten, infizierte sie sich.
„Ich war in Panik, hatte das Bild der intubierten Patienten vor Augen“, sagt die 43-Jährige. Sie hatte Anfang Dezember 2021 Erkältungssymptome, verlor den Geruchs- und Geschmackssinn, ertrug Berührungen und Geräusche nicht gut und hatte Atemnot. Damals ging sie noch davon aus, nach einem negativen Test wieder gesund zu sein. „Sobald ich mich angestrengte, ging es los mit Kopfschmerzen und meine Haut brannte“, sagt Julia Davids. Hinzu kamen kognitive Einschränkungen: Sie verlegte das Telefon, ihr Mann fand es im Kühlschrank wieder.
Unbedingt wollte Julia Davids wieder arbeiten. Ihre Wortfindungsstörungen wurden schlimmer, sie stotterte plötzlich, ihre Sprache wurde verwaschen, ihr rechts Bein zitterte deutlich. „Ein Neurologe wollte mir dann ein schweres Beruhigungsmittel gegen das Zittern im Bein verschreiben“, sagt die 43-Jährige kopfschüttelnd. Sie kam zur Reha, durch die sportlichen Aktivitäten verschlimmerten sich ihre Symptome, ihr rechts Bein versagte, sie stürzte. Geräusche und Lichtreize konnte sie kaum ertragen. „Die Ärzte sagten, dass sie mir nicht helfen können, ich wurde aber als arbeitsfähig aus der Reha entlassen“, sagt Julia Davids.
Im Oktober 2022 bekam sie den Pflegegrad drei. Selbst da glaubte sie noch, bald wieder arbeiten zu können. Ihr Zustand verschlechterte sich so sehr, dass sie nur noch 100 Meter gehen konnte und auf einen Rollstuhl angewiesen war. Im Mai 2023 stellte Julia Davids einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente und wurde wieder begutachtet. Schon damals kam es ihr merkwürdig vor, dass ihr von der Gutachterin Blut abgenommen wurde. „Ich kann mir nur vorstellen, dass sie wegen meiner Sprechstörung einen Drogen- oder Alkoholmissbrauch vermutet hat“, sagt Julia Davids. Das Blutbild ergab jedoch keine Auffälligkeiten.
Nach ihren schlechten Erfahrungen mit dem ersten Neurologen wollte sie sich nicht mehr untersuchen lassen. Ihre Mutter konnte den Zustand ihrer Tochter nicht mehr ertragen und brachte sie im August 2023 zu einem Neurologen in Bremen. Dort bekam sie niederschmetternde Diagnose: Rückenmarksentzündung infolge der Corona-Erkrankung. Weitere Untersuchungen bei verschiedenen Ärzten folgten, dann war klar: Der entstandene Schaden ist irreparabel.
Der Verlust ihrer Selbstständigkeit hat Julia Davids oft an den Rand der Verzweiflung gebracht. Von ganz normalen Dingen musste sie sich verabschieden: von ihrer Arbeit, vom Kochen, ihren Yogastunden und den Ausflügen mit ihrem Ehemann. Mehr als einmal hat sie sich als Belastung für ihre Lieben empfunden. „Ich kann nicht alleine duschen, bin mit Anfang 40 auf Rollstuhl und Rollator angewiesen“, sagt Julia Davids. Auch die Fehldiagnosen und gut gemeinten Ratschläge belasten die 42-Jährige. Es wurde ihr attestiert, dass ihr Bein durch eine Masernerkrankung geschädigt sei. Es wurde ihr geraten, in die Psychiatrie zu gehen oder eine Reha mit Sport zu machen. Um nicht zu verzweifeln, hilft ihr heute noch ihr Leitspruch: „Morgen kommt ein neuer Himmel“. Aus der Bahn geworfen hat sie aber nach fast zweijähriger Bearbeitungszeit der Ablehnungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung (DRV) im Februar 2025. Eine Gutachterin bescheinigte ihr eine Verhaltensstörung durch Alkoholmissbrauch, obwohl es dafür keine Anhaltspunkte gab. Ihre Ärzte und Therapeuten seien schockiert darüber gewesen. Ihre Mutter ist in dieser Zeit nicht von ihrer Seite gewichen, hat sie versucht aufzufangen. „Du bist doch mein starkes Mädchen, hat sie immer wieder gesagt“, so Julia Davids.
Irgendwie hat sie es geschafft, aus ihrem Nest - so nennt sie ihre Kuschelecke auf dem Wohnzimmersofa - herauszukrabbeln. „Ich wollte diese Geschichte öffentlich machen, nicht nur für mich, sondern auch für andere“, sagte sie. Die DRV reagierte unter dem Druck relativ schnell. Ihnen sei ein Fehler unterlaufen, die Erwerbsminderungsrente sei genehmigt, teilt man ihr mit. Nicht aufzugeben, ist der Rat, den Julia Davids anderen Betroffenen geben möchte.