Urteil: Der Messerstecher aus Vallstedt
muss dauerhaft in die Psychiatrie
Der 33-jährige Angeklagte gilt duch eine Erkrankung als schuldunfähig – Gericht kritisiert Polizei Peine

Schweigend und äußerlich ungerührt nahm der Angeklagte das Urteil zur Kenntnis.Foto: Frank Vollmer
Braunschweig/Vallstedt. Mit deutlichen Worten begründete der Vorsitzende Richter im Landgericht Braunschweig das Urteil im Fall der Jagdmesserattacke vom 19. Oktober 2024 in Vallstedt. Der 33-jährige Angeklagte wird dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Er muss die Kosten des Verfahrens sowie der Nebenkläger tragen. Die Kammer sah es als erwiesen an, dass der Mann zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Wie das Gericht sein Urteil begründete und warum es die Polizei Peine kritisierte.

Seit 2018 lebte der Angeklagte in Vallstedt nach einer Trennung allein. Auch die späteren Opfer wohnten im selben Haus. Nachbarn beschrieben, wie sich sein Verhalten veränderte. Er hörte Geräusche, die niemand sonst hörte, sprach von einer Vogelspinne, mit der er pfeifend kommunizieren könne. Manche hielten ihn für drogenabhängig, andere befürchteten, er könne sich selbst etwas antun. „Niemand ahnte, was wirklich geschehen würde“, begann der Richter seine 45 Minuten lange Urteilsbegründung.

Was geschah am Tattag? Am 19. Oktober 2024 wollten die Nachbarn im Hof Laub fegen. Der Täter griff wortlos mit einem Jagdmesser an, das eine zwölf Zentimeter lange Klinge hatte. Er stach zunächst auf den jugendlichen Sohn einer Nachbarin ein, der sich gerade bückte, um Laub aufzuheben. Dieser konnte fliehen. Der Täter verfolgte ihn kurz, wandte sich dann aber dessen Mutter zu und stach ihr in die Schulter. Ein Mann aus der unmittelbaren Nachbarschaft griff mutig mit einem Besen ein, wurde geschlagen und getreten. Die Frau wurde von dem Täter daraufhin noch einmal mit dem Messer gestochen und schwebte in Lebensgefahr. Ein weiterer Bewohner des Hauses versuchte in den Hausflur zu flüchten, wurde vom Täter aber eingeholt und mit einem Bauchstich sowie einem Schnitt am Kopf schwer verletzt.

Danach ließ der Täter von weiteren Angriffen ab, legte das Messer an einer Mauer nieder und ließ sich später widerstandslos festnehmen. Die Polizei traf auf ein unübersichtliches Bild mit mehreren Verletzten. Zeugen wiesen sofort auf ihn als Täter hin. Er selbst erklärte, er habe „ein Zeichen setzen wollen“ und: „Eigentlich sind die alle nett, aber so kann es nicht mehr weitergehen“.

Laut Gutachten lebte der Angeklagte in einer Wahnwelt. Er hielt sich für verfolgt, sprach davon, dass das Verhalten der Nachbarn schlimmer sei als Mord oder Vergewaltigung. Am ersten Verhandlungstag sagte er: „Das war schon kacke, was ich getan habe“, sah sich aber gleichzeitig als Opfer.

Erst am letzten Verhandlungstag zeigte er laut Richter etwas Reue. Die schon länger bestehende Schizophrenie sei klar diagnostiziert, Amphetamine spielten bei der Tat nur eine untergeordnete Rolle. Der Täter konnte das Unrecht nicht erkennen, glaubte: „Sie oder ich“, so der Vorsitzende Richter.

Juristisch stellte das Gericht vier Fälle gefährlicher Körperverletzung fest. In drei Fällen bestand akute Lebensgefahr. Doch wegen Schuldunfähigkeit sei der Täter nicht strafrechtlich verantwortlich.

Bei zwei Opfern sah das Gericht einen Rücktritt vom versuchten Tötungsdelikt. Er hörte freiwillig auf.

Die Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie sei notwendig. Sie ist unbefristet. Wie lange, hängt vom Therapie-Erfolg und vom Täter selbst ab. Der Vorsitzende zitierte Xavier Naidoo: „Dieser Weg wird kein leichter sein.“

Besonders kritisch bewertete das Gericht, dass eine Zeugin schon im November 2022 Alarm geschlagen hatte. Der Angeklagte hatte in einer Sprachnachricht angedeutet, sie töten zu wollen. Die 31-Jährige wandte sich mit ihrem Vermieter an die Polizei Peine.

Dort wurde sie nicht ernst genommen, es erfolgte aber eine sogenannte Gefährderansprache. Die junge Frau zog danach sofort aus. Die Kammer forderte eine schriftliche Stellungnahme der Polizei ein. Der Richter stellte fest: Die Gefährderansprache der Polizei sei nicht ausreichend gewesen, ein Anruf beim psychosozialen Dienst wäre besser gewesen.

Aber: „So leicht kann es nicht sein, Menschen einfach wegzusperren“, sagte der Richter. Zehn Prozent der Bevölkerung seien potenziell anfällig für Schizophrenie – das wären in Deutschland mehr als 800.000 Menschen. Man müsse differenzieren und frühzeitig helfen. Der Angeklagte galt lange als höflich und hilfsbereit. Bis die Krankheit das Ruder übernahm.

Der Richter lobte auch den Zusammenhalt der Hausgemeinschaft. Die vier Opfer und Nachbarn des Mannes waren an jedem Verhandlungstag anwesend, obwohl sie nur einmal aussagen mussten. Der Richter lobte den Mut: „Sie haben etwas Schreckliches als völlig Unschuldige erlebt. Aus heiterem Himmel.“ Auch wenn die körperlichen Wunden heilten, seien die seelischen Folgen noch spürbar.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine Revision möglich.

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