Brandanschlag Schäferstraße:
Die wichtigsten Infos zum Mammutprozess
Seit Dezember 2024 müssen sich sechs Angeklagte vor dem Landgericht Hildesheim verantworten

Landgericht Hildesheim: Hohe Sicherheitsvorkehrungen beim Prozess um die Brandanschläge in der Peiner Schäferstraße.Foto: Bettina Reese.
Peine/Hildesheim. Seit 19. Dezember 2024 läuft vor dem Landgericht Hildesheim ein aufsehenerregender Prozess gegen sechs Männer im Alter von 27 bis 51 Jahren. Sie stehen wegen mehrerer Brandanschläge auf ein Haus an der Peiner Schäferstraße vor Gericht. Die Anklage lautet auf versuchten Mord, versuchte besonders schwere Brandstiftung sowie Anstiftung dazu. Nach 25 Verhandlungstagen stehen noch weitere neun Prozesstage aus. Ein Urteil wird am 13. Oktober 2025 erwartet. Die bislang wichtigsten Hintergründe zu diesem Fall in sieben Punkten:

Ein 36-jähriger Bauunternehmer aus Ilsede wollte auf einem Grundstück an der Peiner Schäferstraße ein neues Mehrfamilienhaus errichten. Die eine Hälfte des dortigen Doppelhauses gehörte ihm bereits, die linke kaufte er im Oktober 2020. Dort lebte eine 74-jährige Frau mit ihrem Sohn. Ihr gültiger Mietvertrag lief bis 2029. Der Unternehmer forderte ihren Auszug, es kam zu Streit und 2022 sogar zu Handgreiflichkeiten. Im Dezember 2023 wurde ein Stein durch das Wohnzimmerfenster des Hauses geworfen.

Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher: Der Bauunternehmer wollte seine Mieter mit Gewalt loswerden. Verbindungen zu Türstehern aus dem hannoverschen Steintorviertel und mutmaßlichen Rocker-Kreisen wurden laut. Für 25.000 Euro soll er über Mittelsmänner mehrere Brandanschläge beauftragt haben. Am 14. März 2024 sollen der 51-jährige und der 27-jährige Angeklagte einen Molotow-Cocktail auf das Haus geworfen haben. Das Feuer wurde schnell gelöscht. Am 11. April soll ein weiterer Brandanschlag geplant gewesen sein, der wegen vieler Passanten jedoch abgebrochen worden sei. Die Polizei stellte zwei Brandsätze im Vorgarten des Hauses sicher. In der Nacht zum 9. Mai 2024 warfen der 51-jährige und der 35-jährige Angeklagte laut Anklage erneut Molotow-Cocktails auf das Haus – diesmal direkt durch die Wohnzimmerfenster. Die Bewohner schliefen, konnten sich jedoch retten. Die Staatsanwaltschaft wertet dies als versuchten Mord.

Der 36-jährige Bauunternehmer aus Ilsede realisierte in Peine und Umgebung erfolgreich einige Bauprojekte. Zwei Tage vor seiner Hochzeit wurde er verhaftet. Über den mitangeklagten 27-jährigen Ilseder, der als Türsteher arbeitet, soll er Kontakt zu einem 38-jährigen und einem 35-jährigen Türsteher bekommen haben. Davon geht die Staatsanwaltschaft aus. Der 35-Jährige soll Mitglied bei dem offiziell aufgelösten Rocker Club Hells Angels sein. Über ihn liefen die Kontakte zu einem 51-Jährigen, der ein Anwärter (Prospect) auf die Vollmitgliedschaft bei den Hells Angels sein soll. Einer seiner Freunde ist ein 34-jähriger Mitangeklagter aus Wesel in Nordrhein-Westfalen. Er gehörte dem Motorradclub „Black Lions“ an.

Bereits vor dem ersten Brandanschlag am 14. März 2024 hatte die Familie Kameras am Haus in der Schäferstraße installiert, die jedoch nichts aufzeichneten. Die Familie installierte mehr und bessere Kameras. Sie filmten am 9. Mai 2024 zwei Täter und einen Volvo ohne Kennzeichen. Ermittler fanden Ähnlichkeiten zum Auto des 51-jährigen Angeklagten. Eine auffällige Beule am Hinterkopf deutet auf einen Zopf hin, den ein maskierter Täter trug. Der 51-jährige trug einen solchen Zopf, den er später abrasierte. Sein mutmaßlicher Komplize aus Wesel war auf einem Überwachungsvideo einer Peiner Tankstelle in der Tatnacht deutlich beim Kauf eines Getränks zu erkennen. Bei einem großen Polizeieinsatz am 27. Juni 2024 nahm die Polizei drei Verdächtige bei einem Großeinsatz fest. Der 51-Jährige wurde in der sogenannten FKK-Villa in Hannover von Spezialkräften gestellt. Auf dem Gelände des ehemaligen Bordells feierten in der Vergangenheit die Hells Angels einige Feste. Zwei weitere Angeklagte befinden sich seit dem 13. August 2024 in Haft. Lediglich der 27-jährige Ilseder ist auf freiem Fuß.

Der 36-jährige Bauunternehmer hatte bei einem Haftrichter am 4. September 2024 eine Tatbeteiligung bei den Brandanschlägen abgestritten, jedoch eine Geldzahlung in Höhe von 25.000 Euro an einen Mitangeklagten zugegeben. Wegen Problemen mit einer arabischen Großfamilie habe er sich von dem 35-jährigen Mitangeklagten Schutz erhofft. Es sollte wohl auch sein Problem mit den Mietern in der Schäferstraße „mit Druck gelöst werden“, so der Haftrichter als Zeuge. Der Bauunternehmer habe nicht gewollt, dass jemand zu Schaden komme, darauf habe er großen Wert gelegt. Dies bekräftigte er in seiner Aussage vor Gericht. Der 51-jährige Angeklagte und sein 34-jähriger Komplize gestanden die Tat vom 9. Mai 2024, gingen aber von einem unbewohnten Haus aus. Der 35-jährige Angeklagte gab seine Vermittlerrolle, so wie die Staatsanwaltschaft es angeklagt hatte, zu. Ausgesagt hat auch der 38-Jährige, der diese später revidierte und zugab, „schamlos gelogen“ zu haben. Als einziger schweigt der 27-Jährige zu den Vorwürfen.

Das Verfahren wird durch zahlreiche Anträge der Verteidigung in die Länge gezogen – etwa zu Beweisen, Haftprüfungen oder Befangenheitsfragen. Die Richter müssen häufig unterbrechen. Besonders zeitaufwendig ist das Verlesen der umfangreichen Chat- und Anrufprotokolle aus den sichergestellten Handys der Angeklagten. Diese mussten in die Hauptverhandlung eingeführt werden, da die Verteidiger sich weigerten, die Daten im sogenannten Selbstleseverfahren zu sichten. Eine ihrer Begründungen: Die Identifikation von Personen sei Aufgabe des Gerichts, nicht der Polizei.

Schon zu Beginn des Prozesses wurden die Sicherheitsmaßnahmen drastisch erhöht: Besucher müssen durch zwei Sicherheitsschleusen, werden abgetastet, müssen Schuhe ausziehen und Gürtel ablegen. Ein Grund dafür liegt sicher in der Nähe der Angeklagten zu Türsteherkreisen im Rotlichtmilieu und zu Rockerclubs wie den Hells Angels.

Zusätzlich verschärft wurden die Maßnahmen, nachdem der 51-jährige Hells Angels Anwärter in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rosdorf eine schriftliche Drohung erhielt: „Verräter, du weißt, was jetzt passiert.“ Seitdem trägt er im Gerichtssaal eine schusssichere Weste. Auch der Bauunternehmer sieht sich nach Schussgeräuschen in der Untersuchungshaft bedroht. Seitdem sind auch Polizisten im Gerichtssaal anwesend.

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