Meist ist sie ganz alleine mit dem, was davon übrig bleibt, wenn Kripo, Spurensicherung und Bestatter gegangen sind. Und manchmal erfährt die Tatortreinigerin beim Aufräumen dann von den Geschichten der Menschen, die da gefunden wurden. Von Leid und Einsamkeit und Überforderung.
Wolpert - von der Wehd (60) hat seit 2016 eine Reinigungsfirma in Lengede-Broistedt, ihre Firmenwagen sind weiß. Damit fahren ihre zwölf Angestellten zu üblichen Treppenhaus- oder Büroreinigungen. Nur ein Fahrzeug ist schwarz, der Truck für die besonderen Aufgaben. Er passt zum Outfit der Tatortreinigerin. Schwarze Haare, schwarze Klamotten, ein umgedrehtes Kreuz als Halskette. Hat ihr Äußeres mit ihrer Arbeit mit so viel Tod und Verwesung zu tun? „Ich feiere zumindest keine schwarzen Messen auf dem Friedhof oder ähnliches, um das gleich klarzustellen“, sagt Wolpert - von der Wehd, verheiratet, Mutter zweier erwachsener Söhne, eingebunden in die Dorfgemeinschaft ihres Weilers bei Söhlde. „Aber eine bestimmte Haltung zum Leben ist in dem Beruf von Vorteil.“
Der schwarze Truck rückt ein bis zweimal im Monat zu den Spezialeinsätzen aus. Bestückt mit Reinigungsmitteln, Schrubbern, Dampfstrahler, Eimern, Spachteln sowie nicht zu wenig Wasserstoffperoxid. Und immer mit dabei: Vernebler mit Insektiziden. „Oft ist das das Erste, was ich in die Wohnung stelle. Denn wer will schon nach nur wenigen Minuten schwarz von Fliegen auf dem weißen Schutzanzug sein.“ Oder überall mit Maden konfrontiert. Dann lüften. Oft die ganze Zeit. Trotzdem setzt die Tatortreinigerin von Lengede fast immer eine FFP3-Maske auf. „Wenn eine Leiche sich bereits zersetzt hat, quasi zerlaufen ist, dann ist der Boden, als hätte man Fritteusen-Fett ausgekübelt.“
Nicht nur deshalb trägt Wolpert - von der Wehd bei jedem ihrer Spezialeinsätze auch Schutzhüllen für ihre Schuhe. „Es ist auch überhaupt nicht schön, wenn du dir Reste der Schädeldecke in die Sohle trittst, das kann ich echt nicht gut ab,“ sagt sie und lacht kehlig. Sie berichtet detailliert von vergessenen Körperteilen, -resten und Körperflüssigkeiten, von Einschusswinkeln und Spuren von Suiziden im Raum. „Fliesen sind besser als Rauputz“, sagt sie dann und macht eine Kunstpause für den nötigen schwarzen Humor. Der kurze erste Moment, wenn sie zu den Einsätzen kommt, die Tür aufschließt, den Raum betritt, das ist trotz aller emotionalen Belastung immer wieder spannend.
Am schlimmsten aber seien die menschlichen Tragödien. Jüngst hatte sie wieder so einen tragischen Fall: Eine Leiche war erst nach gut sechs Wochen gefunden worden, eine alte Frau, gestorben in der Sommerhitze auf ihrem Balkon. Erst als die Reste und die Maden auf die unteren Stockwerke tropften, wurde sie bemerkt. „Manchmal ist die Geschichte der Menschen, deren Reste ich wegmachen muss, schlimmer als die Arbeit selbst“, sagt Wolpert - von der Wehd. „Die Omi muss sehr allein gewesen sein. Was sind wir bloß für eine Gesellschaft, dass niemand die Dame vermisst hat?“
Zu viel aber mag sich die Tatortreinigerin nicht mit den Geschichten hinter den Überresten beschäftigen. „Wenn man es zu nah an sich heranlässt, dann geht man kaputt“, sagt sie. Und berichtet von Menschen, die speziell bei ihr als Reinigungskraft anheuern wollten, weil sie den Job cool fanden. Bisher hat sie noch jeden Bewerber, der mit diesem Impuls zu ihr kam, abgelehnt. „Das ist nämlich etwas ganz anderes in der Wirklichkeit, als wenn man es in bekannten Fernsehserien sieht.“
2014 hat sie gemeinsam mit einer Freundin die Reinigungsfirma gegründet. „Aus einer Bierlaune heraus.“ Von Hause aus ist die Tatortreinigerin Brillenoptikschleiferin. „Wir wollten mit 50 einfach noch mal neu durchstarten.“ Wolpert – von der Wehd bildet sich schon kurz danach weiter: Zertifizierte Tatortreinigerin ist sie seit 2018. Die Ausbildung ist aufwendig und nicht billig. Es geht nicht nur ums spezielle Reinigen, sondern auch um Rechtsfragen und den Schutz der eigenen Gesundheit. „Impfungen sind dringend empfohlen“, sagt sie. Um nach 60-Stunden-Wochen und harten Spezialeinsätzen wieder herunter zu kommen, hört die Tatortreinigerin Musik, Gothic und Metal. Und dann widmet sie sich alten Möbeln. „Das Restaurieren, das tut mir gut“, betont sie.
Jüngst war ein NDR-TV-Team bei ihr, hat sie bei der Arbeit und auch Zuhause begleitet. „Einige Drehtage waren das schon“, sagt die Tatortreinigerin.
Das Kamerateam war bei der professionellen Reinigung eines lange unentdeckten Leichenfundorts dabei und hielt auch drauf, als sie eine extreme Messie-Wohnung zu säubern begann.
„Die haben manchmal ganz schön schlucken müssen“, sagt sie über das Filmteam. Kein Job für jedermann.
„Die Nordreportage: Die Tatortreinigerin“ über die Broistedterin ist in der ARD-Mediathek zu sehen.