Das Aufsteigenlassen weißer Tauben bei Hochzeiten ist ein alter Brauch. In Mythologie und Religion stehen sie für Liebe, Frieden oder den Geist Gottes und symbolisieren bei Hochzeiten den Beginn einer glücklichen, treuen Verbindung. Für das Brautpaar ist es ein Moment voller Freude und Symbolik, doch für die gefiederten Tiere bedeutet er oft Stress, Verletzung und Tod.
„Eigentlich sind das Verletzungen, bei denen man das Tier einschläfern müsste“, sagt Dr. Friederike Schmidt. In diesem Fall versucht sie es trotzdem, auf eigene Kosten.
Die weißen Hochzeitstauben seien keine Wildtauben und auch keine trainierten Brieftauben, die in der freien Natur zurechtkämen. „Sie sind schlicht nicht dafür gemacht, weite Strecken zu fliegen oder sich durchzuschlagen. Manche verhungern, viele werden Opfer von Raubtieren oder geraten in Unfälle“, erklärt die Tierärztin. „Ich halte das für ein großes Tierschutzproblem!“
Dem widerspricht Steffen Brenneke, Brieftaubenzüchter aus Meerdorf zumindest teilweise: „Wenn es sich um einen seriösen Züchter handelt, finden die Tauben fast immer nach Hause zurück.“ Natürlich gebe es auch schwarze Schafe unter den Züchtern. Die weißen Tauben seien in der Regel eine spezielle Zuchtform der Brieftaube und genauso „Athleten“ wie ihre Artgenossen, mit denen Brenneke bei Wettbewerben antrete. Die gefundene sei dagegen keine Brieftaube, wie er anhand der Bilder bestätigt. „Hier kann man nicht von Taubenzüchter, und schon gar nicht von Brieftaubenzüchter oder Brieftauben-Liebhaber sprechen.“ Ein seriöser Züchter bereite seine Tiere immer auf das Event vor. „Heutzutage gibt es sogenannte Verleihe. Wenn man so etwas bucht, hat der Besitzer auch großes Interesse daran, dass die Tiere wieder zu ihm zurückkehren.“ In Deutschland sei es zudem Pflicht, dass Tauben einen Ring tragen, auf dem mindestens eine Telefonnummer steht. „Wenn eine Taube das nicht hat, finde ich das natürlich auch nicht gut“, so Brenneke.
Lea Krala vom Tierschutzverein Peine, die sich auf das Thema Tauben spezialisiert hat, kritisiert: „Diese Tauben werden extra für Hochzeiten gezüchtet und sind nur an Menschen gewöhnt. Sie wissen nicht, wie sie in der freien Wildbahn Futter finden oder sich vor Raubtieren schützen sollen. Viele können nicht richtig fliegen und machen in der Luft nur lustige Salti. Sie werden gezielt dafür gezüchtet. Bei dem Lärm und Stress einer Hochzeit erschrecken sie sich, werden orientierungslos und verfliegen sich.“
Oftmals würden sie aus diesem Grund auch nicht mehr zu ihrem Schlag zurückfinden. „Niemand züchtet absichtlich Tauben, die nicht richtig fliegen können oder den Weg nicht zurückfinden“, betont Brenneke dagegen. „Der Hauptgrund dafür, dass Tauben den Weg zurück nicht finden, sind sehr oft Greifvögel.“
Deren Zahl sei in den letzten Jahren stark gestiegen. „Die Raubvögel sind größer und schneller als die Tauben und fliegen direkt in eine Gruppe hinein. Die Tiere geraten in Panik und zerstreuen sich.“ Auch Windräder und Stromtrassen führten immer wieder dazu, dass Tiere ums Leben kämen.
Auch der Deutsche Tierschutzbund übt scharfe Kritik an dem Brauch, weiße Tauben bei Hochzeiten aufsteigen zu lassen. „Der Moment, der das Hochzeitspaar und die Gäste so emotional berührt, bedeutet für viele Tauben zugleich das Todesurteil“, heißt es von dem Verband.
Zudem wird die rechtliche Grundlage hinterfragt: Die Genehmigung solcher Geschäfte ist im Tierschutzgesetz von 2000 verankert und wurde seither weder an neue wissenschaftliche Erkenntnisse noch an aktuelle Gesetzesänderungen angepasst.
Dr. Friederike Schmidt appelliert eindringlich: „Viele wissen gar nicht, was sie diesen Tieren damit antun. Ich hoffe, dass Brautpaare künftig bewusst auf diese Symbolik verzichten oder tierfreundlichere Wege finden, Glück und Liebe auszudrücken.“
Wie sehen Sie das? Ist das Aufsteigenlassen weißer Tauben noch zeitgemäß oder ein überholtes Ritual auf Kosten der Tiere? Schreiben Sie uns Ihre Meinung (etwa 1.500 Zeichen) an redaktion@paz-online.de und bringen Sie sich in die Diskussion ein.