KI statt Arztpraxis? Was Ärzte erleben
Immer mehr Menschen fragen ChatGPT, wenn es um Symptome und Diagnosen geht

Immer mehr Patienten recherchieren ihre Symptome mithilfe von künstlicher Intelligenz. Was sagen heimische Ärzte zu diesem Trend?Foto: Sebastian Kahnert
Peine. Ausschlag? Herzstiche? Zackiges Flimmern vor den Augen? Patienten fragen neuerdings vermehrt ChatGPT. Diagnose Bluthochdruck: ChatGPT. Was essen bei Rheuma? ChatGPT. Rund drei Viertel aller Deutschen kennen laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung vom August 2025 mittlerweile sogenannte KI-Chatbots, also Frage- und Rechercheinstrumente im Internet, die auf sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) beruhen.

Die bekannteste unter ihnen ist derzeit wohl ChatGPT, andere heißen Gemini, Claude oder BERT. Regelmäßig kommen neue hinzu. Von denjenigen Befragten, die sie kennen, nutzen mittlerweile 68 Prozent diese Chatbots zur Suche nach Gesundheitsinformationen – vor und nach dem Arztbesuch. Und bisweilen auch stattdessen. Tendenz steigend. Damit liegen KI-Chatbots mittlerweile nur noch knapp hinter der klassischen Informationssuche via Suchmaschine wie Google.

„Dr. Google kennen wir Hausärzte ja schon lange, jetzt ist halt Dr. ChatGPT dran“, sagt Dr. Christian Pabst, Hausarzt in einer Gemeinschaftspraxis in Peine mit einem leichten Schulterzucken. Grundsätzlich seien ihm Patienten, die sich mit ihrer Gesundheit und den Risiken dafür auseinandersetzten, deutlich lieber als völlig desinteressierte Patienten, sagt der Mediziner, der zugleich Sprecher des Peiner Ärztevereins ist. Large Language Modelle wie ChatGPT hätten gegenüber Google sogar den Vorteil, dass sie selbst fix viele Quellen gleichzeitig recherchieren könnten. Die Zeitersparnis sei enorm. Und die Wahrscheinlichkeit, dass man wesentliche Informationen übersieht, so sogar minimiert.

„Ich habe es selbst mal probiert, bei allgemeinen Fragen zu Krankheiten kommen beachtliche fundierte Ergebnisse zustande“, sagt er. Zusammenhänge würden oft gut erläutert und nachvollziehbare Verhaltensvorschläge angeboten. „Das Problem bei der Suche nach einer medizinischen Diagnose ist allerdings, dass ein Laie nicht erkennen kann, ob ChatGPT in den Schlussfolgerungen richtig liegt.“ Denn wichtig sei die ärztliche Kunst im Prozess gemeinsam mit dem Patienten, neben Abtasten, Abhorchen und sonstigen klinischen Untersuchungen der sogenannte Entscheidungsbaum. Und die Erfahrung. „Wir Ärzte fragen stets: Könnte es auch anders sein?“

„Hochbetagte Senioren sind eher nicht unter den Nutzern“, sagt Pabst aus seiner Erfahrung in der täglichen Praxis. „Die kommen in die Praxis und verweisen oft noch auf die Fernsehsendung Visit.“ Aber schon fitte, internetaffine Siebzigjährige kämen gelegentlich schon mit Google- oder KI-Suchergebnissen in die Sprechstunde. Unter den jüngeren Patienten seien es mehr Frauen als Männer. Pabsts Bauchgefühl deckt sich weitgehend mit den Umfrage-Ergebnissen. Demnach sind Frauen zu rund 90 Prozent im Internet gelegentlich auf der Suche nach Gesundheitsinformationen. Wie viele seiner Patienten genau sich mittlerweile mittels KI informieren, kann der Hausarzt nicht beziffern. Nur so viel: „Es werden mehr.“

Dr. Marion Charlotte Renneberg, Ärztin aus Ilsede warnt: „Online-Recherchen zu Symptomen und möglichen ursächlichen Erkrankungen mittels KI bergen die Gefahr, dass sie zu falschen und problematischen Einschätzungen des persönlichen gesundheitlichen Status führen können.“ Leider vermittelten insbesondere linguistische KI-Modelle wie ChatGPT „oft den Eindruck, eindeutige und richtige Ergebnisse zu liefern – gleichwohl sie fachlich gesehen nicht korrekt sein müssen“, weiß die Ärztin, die zugleich auch stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen ist. So entstehen zum Teil aufseiten der Patientinnen und Patienten unnötige Verunsicherungen und Ängste.

Patientinnen und Patienten in Deutschland bleiben trotz ihres wachsenden Hangs zur Selbstdiagnose skeptisch. In der Umfrage wurden sie auch gefragt, wie häufig sie bei gesundheitlichen oder medizinischen Themen das Gefühl hatten, falsch informiert worden zu sein. Soziale Medien schneiden dabei am schlechtesten ab: Fast 60 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer trauen Infos aus Facebook, Instagram und Tiktok nicht. Bei den KI-Chatbots berichteten 41 Prozent sich häufig oder gelegentlich falsch informiert gefühlt zu haben. Die Gefahr sieht auch Hausarzt Pabst. „Es gibt diese Blindstrecke von der KI-gestützten Selbstdiagnose bis zum Arztbesuch. Das kann dann im Zweifle schonmal zu Verschlimmerungen führen, wenn KI falsch lag.“

Und Ärztekammer-Vizechefin Renneberg warnt: „Insbesondere in Notfällen ist es absolut empfehlenswert, sich direkt in einer Praxis vorzustellen, den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Telefonnummer 116 117 zu kontaktieren oder in dringenden und lebensbedrohlichen Fällen direkt den Notruf unter 112 zu verständigen.“ Aber, so Pabst: „Ich glaube, dass KI in der Medizin großes Potenzial hat, es wird sicherer, spezifischer und verlässlicher werden.“

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