Abnehmen in Peine: Wie helfen Ozempic und Co?
Immer mehr Menschen spritzen Medikamente gegen Übergewicht. Allein in Peine sind es Hunderte.

Ein Mann hält eine Abnehmspritze mit dem Wirkstoff Semaglutid in der Hand. Andere Stoffe heißen Liraglutid oder Tirzepatid.Foto: Roberto Pfeil
Peine. 82 Kilo wiegt Christina S., vor acht Wochen waren es noch 90. Vor zwei Monaten begann die Mitfünfzigerin (ihr richtiger Name ist der Redaktion bekannt) die Therapie mit Mounjaro, einem neuen Medikament zur Blutzuckerkontrolle und Gewichtsabnahme. Wie das bekanntere Ozempic wirkt es auf das Sättigungsgefühl. Doch es ist mehr als ein einfacher Appetitzügler, es greift in das Hormongeschehen des Körpers ein. Eigentlich zur Behandlung von Diabetes entwickelt, haben es diese neuen Arzneien via Hollywood in normale deutsche Wohnzimmer geschafft. Effektiv wirksam, einfach anzuwenden, aber auch mit einigen Risiken und Nebenwirkungen. Gleichwohl: Immer mehr Menschen setzen darauf.

Zahlen der AOK Niedersachsen belegen den Trend beispielhaft. „Die Zahl der behandelten Versicherten habe sich demnach in den drei Landkreisen Peine, Wolfsburg und Gifhorn zwischen 2023 und dem ersten Halbjahr 2025 sichtlich erhöht – insgesamt von 597 auf 906 Personen, was einer Steigerung um rund 50 Prozent entspricht“, so Sprecher Johannes-Daniel Engelmann auf PAZ-Anfrage. Bei der Anzahl abgegebener Arzneimittelpackungen stellt sich der Zuwachs von 2023 bis 2025 (hochgerechnet auf das ganze Jahr) noch stärker dar:

■ Gifhorn: von 881 auf 2.260 – ein Zuwachs um 157 Prozent.■ Peine: von 318 auf 896 – ein Zuwachs um 182 Prozent.■ Wolfsburg: von 358 auf 736 – ein Zuwachs um 106 Prozent.

„Wenn man die Medikamente fachgerecht einsetzt, ist der Nutzen groß – und die Gefahren sind beherrschbar“, sagt der Peiner Ärztesprecher und Mediziner Christian Pabst. Auch er behandelt immer mehr Menschen, die gezielt mit dem Wunsch nach der Abnehmspritze in seine Praxis kommen. Oft seien Jüngere darunter, die über Social Media vom neuen Trend erfahren haben. Aber auch viele Ältere, Menschen mit wirklich starkem Übergewicht sowie Begleit- oder Folgeerkrankungen seien darunter. „Menschen mit Bluthochdruck, Schlafapnoe, Diabetesvorstufe und stark belasteten Knien beispielsweise“, sagt Pabst.

Aber nicht jeder, der es möchte, bekomme das Medikament auch, betont er. Ein Body-Mass-Index von mindestens 30 (Adipositas) sei in der Regel notwendig. „Man darf es allerdings nicht allein daran festmachen, es gibt auch medizinische Ausschlusskriterien und mich muss die Gesamtsituation des Patienten überzeugen“, sagt der Arzt. Weil das Medikament über die Hormone GLP-1 und GIP unter anderem auf die Bauchspeicheldrüse wirke, sei es in der Regel bei einer bestehenden oder auch bei einer vergangenen Bauchspeicheldrüsenentzündung ausgeschlossen.

Vorsicht gelte auch bei Problemen mit der Schilddrüse. Und in der Schwangerschaft. Bauchspeicheldrüsenentzündung sei zudem eine, wenn auch nicht so häufige, sehr ernste Nebenwirkung. Daneben drohen Übelkeit, Verstopfung, Dehydration und gelegentlich allergische Reaktionen.

Die Grundlage für die Behandlung von starkem Übergewicht beziehungsweise Adipositas sei nach wie vor die sogenannte Basistherapie. Die bestehe aus Ernährungs-, Bewegungs-, Verhaltensinterventionen, so die „Interdisziplinäre Leitlinie zur Prävention und Therapie der Adipositas“ von den Fachverbänden Deutsche Adipositas-Gesellschaft, Deutsche Diabetes Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Ernährung sowie Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin.

„Wenn mithilfe dieser Basistherapie keine ausreichende Gewichtsreduktion erzielt wird, können begleitende Medikamente die Gewichtsabnahme unterstützen.“ Liraglutid, Semaglutid, Tirzepatid heißen die Stoffe, die dann infrage kommen – Handelsnamen: Ozempic, Wegovy, Saxenda, Mounjaro. Aber: „Anders als in der Berichterstattung und den sozialen Medien teilweise vermittelt wird, sind die neuen Medikamente keine leichtfertig einzusetzenden Abnehm-Spritzen für die allgemeine Bevölkerung. Es handelt sich vielmehr um verschreibungspflichtige Arzneimittel zur ergänzenden Behandlung von krankhaftem Übergewicht beziehungsweise Adipositas“, so die Verbände weiter.

Auch Christina S. hatte in den vergangenen Jahren vieles ausprobiert, um nachhaltig ihr Gewicht zu reduzieren, Jojo-Effekte inbegriffen. Sport macht sie bereits, Schwimmen, Walken, Pilates, mehrmals pro Woche. Magenverkleinerung oder Abnehm-Spritze, letztlich sei das die Frage gewesen. „Ich entschied mich für die Spritze“, erzählt sie. Mit durchschlagendem Erfolg: „In den ersten drei Wochen verlor ich fünf Kilo Gewicht.“ Bisher keine ernsten Nebenwirkungen, schnellere Sättigung, kein Heißhunger mehr auf Süßes – tatsächlich wirken die Medikamente auf das Belohnungssystem im Gehirn.

Süßes oder Fettiges als Trost? Weit weniger nötig unter der Behandlung. „Ob das ein rein psychologischer Effekt oder eine echte Stoffwechselveränderung ist, ist mir letztlich egal, solange das Ergebnis stimmt“, sagt sie. Das Wunschergebnis sind bei ihr 20 Kilogramm Gewichtsreduktion. Die will sie in den kommenden Monaten erreichen. Schritt für Schritt. Und dabei Auf die Gesundheit achten. „Wer nicht aufpasst, nimmt an der falschen Stelle ab“, warnt der Mediziner Christian Pabst. „Muskeln schmelzen eher als das Fett, insofern ist Muskeltraining und gute proteinreiche Ernährung begleitend zur Behandlung sehr wichtig“, sagt er und mahnt: „Ohne Lebensstiländerung ist das Ganze eine Kosmetik.“

Den Erfolg muss Christina S., wie alle Abnehmwilligen, selbst zahlen. Zwischen 200 und 400 Euro im Monat kostet die Behandlung je nach Dosierung, die in der Regel von Monat für Monat steigt. „Die Anwendung zur Gewichtsregulation ist nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig, da diese Indikation als Lifestyle-Therapie gemäß Paragraf 34 Sozialgesetzbuch 5 ausgeschlossen ist“, heißt es seitens der Krankenkasse.

Vor dem Bestellen im Internet aus undurchsichtigen Quellen, um Kosten zu sparen, warnt die Kasse indes: „Der Bezug potenziell gefälschter oder qualitativ minderwertiger Arzneimittel stellt eine ernstzunehmende Gefährdung der Patientensicherheit dar. Eine medikamentöse Therapie sollte nur in den zugelassenen Indikationsgebieten und unter ärztlicher Überwachung erfolgen.“

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