Die Erkrankung hat sie zuletzt immer mehr an den Rollstuhl gefesselt. Denn EDS führt zu inneren Quetschungen und drohenden Rissen ihrer Adern, zu Blutstau, zu Schmerzen, zu Minderdurchblutung von Organen. Eine mittelfristig lebensbedrohliche Entwicklung. Auf der verzweifelten Suche nach Hilfe stieß Lena zuletzt auf einen Experten. Der aber ist an einer Privatklinik tätig.
Als sie zwölf Jahre alt war, fing es an. Das Hohlkreuz war schon da, die Ellenbogen überdehnen, oder die Fingergelenke, das fiel ihr schon länger leicht. Dazu war Lenas Haut ungewöhnlich elastisch, anders als bei den anderen Kindern. Aus der Übergelenkigkeit wurden irgendwann Gelenkschmerzen. Bauschmerzen, Schwindel, Kreislaufprobleme, das kam hinzu.
Heute weiß Lena, dass das Begleitsymptome ihrer damals noch unbekannten Grunderkrankung waren. Und die machten ihr Angst. Peu à peu wurde es schlimmer. Jahre des Ärztehoppings folgten. „Jeder Facharzt aber schaut nur auf sein eigenes Gebiet, keiner hatte alle Symptome zu einer Diagnose vereinen können“, erzählt Lena von ihrer Jugend in Arztpraxen. 2021 dann der entscheidende Besuch der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) mit der erschreckenden, aber irgendwie auch erleichternden Diagnose: EDS. Das rätselhafte Leiden hatte endlich einen Namen. 23 Jahre war Lena zu dem Zeitpunkt alt.
Mit Freunden besuchte sie da noch mit Inbrunst Rockkonzerte, nicht unbedingt die ganz großen. Dafür oft. Ausgehen, feiern, Mosher-Gruß - wenngleich auch alles schon eingeschränkt. „Das war einfach unser Stil, wir wollten das Leben auskosten, manche Bands kenne ich sogar privat.“ Doch zunehmend stand ihre fortschreitende Krankheit ihrem Leben als Metalhead, wie sich die Anhänger der härteren Musiksparte nennen, im Weg.
„Wir sind Indre und Caro, eingefleischte Metalheads, und lieben es, mit unserer Freundin Lena inmitten einer großen, glücklichen Menge von Menschen in der Front Row zu stehen und unsere Lieblingsbands live zu erleben“, schreiben deshalb Lenas zwei engste Freunde auf der Spendenplattform Gofundme, um Spenden für die Operation zu sammeln. Einen gefährlichen, komplizierten Eingriff, der nach Angaben von Lenas Familie nur von wenigen Spezialisten durchgeführt werden kann. 36.000 Euro kostet die OP. Die Sache duldete keinen Aufschub mehr.Die Gewebe-Erkrankung hatte zuletzt in ihrem Bauchraum die Gefäße eingeklemmt - Kompressionssyndrom nennen Mediziner das. Eine Folge der Bindegewebserkrankung EDS. Die linke Beckenvene war fast zu, das Blut im Bauchraum wurde viel zu oft gestaut statt zu fließen, extrem starke Schmerzen waren die Folge. Thrombosen und Lungenembolie drohten. Auch eine Nierenvene war mittlerweile so angeschlagen, dass die Niere nicht mehr ausreichend durchblutet wird. An anderer Stelle drohten neurologische Schäden. Alle ärztlichen Befunde liegen der PAZ in Kopie vor.
Ein Fachmediziner für Kompressionssyndrome aus dem sächsischen Leipzig brachte Lena mit Professor Wilhelm Sandmann aus Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen in Kontakt. „Ein Segen”, betont Lena Mennigke. Lange habe sie nach einer Behandlungsmöglichkeit gesucht, doch an den meisten Kliniken mit Gefäßchirurgie gab es kaum jemandem mit Erfahrungen zu ihren speziell angeschlagenen Gefäßen.
Wilhelm Sandmann ist auf Einsätze an knifflig gestauchten und eingeklemmten Gefäßen bei Bindegewebsdefekten spezialisiert. Auch er empfahl nach Blutflussuntersuchungen und radiologischen Aufnahmen dringend die Operation, um die Gefäße zu stabilisieren „84 Prozent aller Patienten sind weiblich, das Syndrom verschärft sich schleichend. Manche Patientin kann sich ohne Operation nur noch über Schläuche ernähren, so weit ist es in diesem Fall gottlob noch nicht, es gibt konkrete Aussichten auf Besserung durch eine OP“, so der Professor auf PAZ-Anfrage.
„Das gab uns nach langer Zeit wieder Hoffnung“, sagt Lenas Mutter Andrea Mennigke. Doch Lenas Krankenkasse hatte jüngst Nein gesagt. „Die Behandlung selbst haben wir von Frau Mennigke nicht abgelehnt. Leider dürfen wir uns aber nicht an den Kosten für die Behandlung in der ‚Clinic Bel Etage‘ beteiligen. Die Privatklinik erfüllt nicht die Anforderungen, die wir an vergleichbare Krankenhäuser stellen”, begründete ein Sprecher der Krankenkasse die Ablehnung. Obwohl Wilhelm Sandmann international als anerkannter Experte gilt. Erst vor wenigen Tagen kam der Professor von einem Chirurgie-Kongress in New York zurück. Die Kasse schlug als Alternative noch drei Kliniken im Umkreis vor, die über ausreichende Gefäßchirurgie verfügten.
„Die Entscheidung hat uns maßlos enttäuscht“, erklärt Lenas Mutter Andrea Mennigke. „Diese Kliniken machen zwar generell Gefäßchirurgie, aber nicht solche besonderen OPs, wie Lena sie mit Kompressionssyndromen und EDS benötigt. Lena hat über Monate geforscht, ob es wirkliche Alternativen gibt. Gibt es nicht. Nicht in Deutschland. Ein einfacher Stent reicht eben hier nicht aus.“
Vor wenigen Tagen hat sich Lena - der Ablehnung der Krankenkasse zum Trotz - operieren lassen. Der komplizierte Eingriff sei erfolgreich verlaufen, berichtet Andrea Mennigke. „Die Erholung wird allerdings einige Monate dauern. Der Arzt sagte uns, dass die Wundheilung normalerweise etwa sechs Wochen dauert und bis man wieder auf den Beinen ist, etwa drei Monate.“
Wieder auf den Beinen: Lena darf wieder hoffen. „Keine Perspektive zu haben, keine Ausbildungsoption, keine Zukunft, weil alles immer nur schlimmer zu werden droht, das ist das Schlimmste“, hatte Lena der PAZ kurz vor dem Eingriff noch gesagt. Jetzt hoch verschuldet, aber voller Hoffnung auf den nächsten Tanz.