Um es vorwegzunehmen: Ich wollte das nicht! Aber es ging nicht anders. Ich weiß, dass es sich nicht gehört, anderen Leuten zuzuhören. Schon gar nicht gehört es sich, Gespräche mitzuschreiben. Wir sind doch nicht bei der Stasi. Aber… Es ging nicht anders! Meine gesamte Zugfahrt von Köln bis Hannover wurde von der älteren Dame beschallt, die pausenlos auf ihren Mann einquakte. Er tat mir so leid. Ich konnte ja irgendwann aussteigen, er war ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ihr und ihren unentwegten „Obdu-Sätzen“. Der „Obdu-Satz“ ist ein besonderes sprachliches Konstrukt, das dringend Aufnahme in die offizielle Grammatik finden sollte. Dem „Obdu-Satz“ geht eine normale Frage voraus, gefolgt von einer schwerhörigkeitsbedingten Nachfrage. Ich gebe Ihnen einige Beispiele aus dem reichhaltigen Schatz dieser Zugfahrt. Sie: „Sitzt du gut?“ Er: „Bitte?“ Sie: „Ob du gut sitzt?“ Wobei das kurze Wort „sitzt“ von ihr in eine genervte Länge gezogen wurde. „Ob du gut si-itzt?“ Und so ging das weiter. „Ob du mal mu-usst?“ „Ob du was es-sen willst?“ „Ob du was se-hen kannst?“ „Ob du ein bisschen schlafen möch-test?“ In einer Tour. Auch mit so absurden Dingen wie: „Hamm ist eine hässliche Stadt!“ „Bitte?“ „Ob du Hamm auch so hässlich findest?“ Es war absurd. Einige Fahrgäste kicherten, andere überlegten offenbar, wie sie den armen Kerl bloß aus den Fängen seiner Furie befreien könnten. Vielleicht mit einem „Obsie-Satz“. „Ob Sie vielleicht mal Ihren Mann in Ruhe lassen könnten?“ Matthias Brodowy