„Irgendwann gehe ich zur Arbeit und komme nicht mehr heim. Der kommt und bringt mich um.“ Sie sagte das nur wenige Tage, bevor er kam und sie umbrachte. Wenige Tage, bevor sie im hessischen Mörfelden-Walldorf zur Arbeit ging und nicht wieder nach Hause kam. Sie räumte in einem Supermarkt gerade die Regale ein, als er sie aufsuchte, ein Gespräch begann und dann viermal auf sie schoss. Wenige Monate zuvor hatte sie sich von ihm getrennt, ein Kontakt- und Näherungsverbot erwirkt, weil er ihr nachstellte. Kurz darauf sollte eine Gerichtsverhandlung sein, weil er in ihre Wohnung eingedrungen und sie gewürgt haben soll. Nun sind beide tot – der 48-Jährige hatte nach der Tat Suizid begangen.
Acht Tage später, keine 90 Kilometer entfernt. Zwei Teenager hatten sich ineinander verliebt, gingen auf die gleiche Schule. Doch dann trennte sich die junge Frau von ihm. Als er sie im Herbst geschlagen hatte, erwirkte sie ein Näherungsverbot, er erhielt eine Gefährderansprache der Polizei. Trotzdem gingen die beiden weiterhin zusammen auf das private Gymnasium in St. Leon-Rot (Baden-Württemberg). Bis zu jenem Tag Ende Januar, als er Übelkeit vortäuschte, sein Klassenzimmer verließ, seine Ex-Freundin aufsuchte und sie erstach.
Zwei tote Frauen binnen acht Tagen, zwei Femizide. Statistisch gesehen ist in Deutschland zwischen den beiden Frauen noch eine weitere von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden, weitere fünf Frauen haben, statistisch gesehen, die körperlichen Angriffe überlebt. Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Frau oder Ex-Frau, seine Freundin oder Ex-Freundin umzubringen. An jedem dritten Tag gelingt ihm das auch. 2022 starben 133 Frauen durch ihre Partner oder ehemaligen Partner. 126-mal Mord und Totschlag, siebenmal Körperverletzung mit Todesfolge, so liest sich das in der Kriminalstatistik.
Oft passiert die Tat nicht plötzlich und unvermittelt. Viele Femizide geschehen an Frauen, die sich zuvor schon rechtlich gegen die Männer gewehrt haben. Sie haben Kontakt- und Näherungsverbote bei den Familiengerichten erwirkt, Vorfälle angezeigt, sich bei der Opferhilfe gemeldet. „Viele Frauen machen alles richtig. Sie wenden sich in der Situation an den Staat und sagen: ‚Bitte schütze mich‘“, sagt Patrick Liesching, Bundesvorsitzender des Weißen Rings, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Auch dass Frauen Kontakt- und Näherungsverbote durchsetzten sei wichtig. Dennoch: „Letztlich wird es nicht überwacht. Wenn er sich doch nähert und ihr Böses will, dann lässt der Staat die Frauen im Stich. Und das kann nicht sein.“
Seit Jahren fordern Opferverbände einen besseren Schutz für Frauen. Tenor: Wer gegenüber der Polizei Angst äußere, wer von seinem (Ex-)Partner bereits körperlich angegriffen oder bedroht wurde, der müsse auch tatsächlich geschützt werden. Näherungsverbote, Gefährderansprachen – all das halten die Organisationen für sinnvoll. Aber nicht für ausreichend.
Die Organisationen Terre des femmes und der Weiße Ring fordern deshalb, dass Männer, denen nach Gesprächen mit Behörden ein besonders hohes Gewaltrisiko zugeschrieben wird, überwacht werden – mit einer elektronischen Fußfessel beispielsweise, wie sie bisher etwa bei Sexualstraftätern oder Terrorverdächtigen angeordnet werden kann. „Es gibt andere Schutzkonzepte, aber die sind aus unserer Sicht nicht effektiv, weil sie den Standort des Bedrohers nicht kennen“, sagt Liesching. Der Weiße Ring schrieb deshalb erst vor wenigen Wochen einen Brandbrief an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).
Als Beispiel dient die Opferhilfe Spanien. Dort sind Fußfesseln seit mehreren Jahren bei auffällig gewordenen und als gefährlich eingestuften Männern im Einsatz. Da die Fußfessel alleine nicht unbedingt Erfolg verspricht, wurde in dem südeuropäischen Land ein Pilotprojekt gestartet. Nicht nur der potenzielle Angreifer wird elektronisch überwacht, sondern auch die bedrohte Frau. Frauen, die freiwillig an dem Programm teilnehmen, tragen ein GPS-Armband. Meldet das GPS-Signal, dass das Näherungsverbot nicht eingehalten wird, geht bei der Polizei sofort ein Alarm los. In dieser Konstellation – wenn also Fußfessel und Armband aktiviert waren – gab es laut Weißem Ring seit Projektstart keinen einzigen Femizid in Spanien.
Widerstand gegen den Vorstoß kommt aus dem Bundesjustizministerium. Mehrfach, teilt das Amt dem RND mit, habe man den Vorschlag geprüft, zuletzt auf Wunsch der Landesjustizministerien. „Diese Prüfungen haben jeweils ergeben, dass die Schaffung einer EAÜ-Anordnung im Gewaltschutzgesetz nicht geeignet wäre, einen lückenlosen Opferschutz zu gewährleisten“, erklärt Sprecherin Marie-Christine Fuchs, wobei EAÜ im Gesetzesdeutsch für „elektronische Aufenthaltsüberwachung“ steht. Rechtlich bedeutet das: Zwar könnten potenzielle Täter eine Anordnung bekommen, die Fußfessel zu tragen, nicht aber die potenziellen Opfer. Und somit bleiben aus Sicht des Ministeriums zu große Lücken.
Liesching sieht auch die Gesellschaft in der Pflicht. Der Hass auf Frauen kommt häufig durch ein falsches Rollenverständnis. Mit Schlägen, Drohungen oder im schlimmsten Fall dem Femizid versuchen Täter, ihre für richtig empfundene Hierarchie wiederherzustellen. Schon in der Kindheit müssten Mädchen und Jungen daher die Werte von Gleichberechtigung vermittelt werden. Das ist, womöglich, der einzige wirkliche Schutz für Frauen.