Noch drei Jahre bis zum 1,5-Grad-Abschied
Eine Studie zeigt: Das CO2-Budget für das 1,5-Grad-Ziel schwindet rapide, die Folgen dessen sind schon spürbar. Es müsste jetzt gehandelt werden.

Wälder sterben oder werden abgeholzt: Ein Beispiel für den rabiaten Umgang mit der Natur. Das 1,5-Grad-Ziel ist kaum noch zu halten.foto: Pok Rie / Pexels
Berlin. Das CO₂-Budget für das 1,5-Grad-Ziel schwindet rapide. Bleibt es bei den aktuellen Treibhausgasemissionen, ist es in nur drei Jahren aufgebraucht. Eine neue Studie zeigt die dringende Lage.

Die verbleibende Menge an Kohlenstoffdioxid (CO2), die noch emittiert werden kann, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, beträgt 130 Milliarden Tonnen. Mehr darf es nicht sein, sonst würde sich die Klimakrise weiter verschärfen. Doch offenbar scheint von dem CO2 -Budget nicht mehr viel übrig zu sein, zumindest legt das die „Indicators of Global Climate Change“-Studie nahe.

Im Fachmagazin „Earth System Science Data“ ist kürzlich die neue Version der Studie erschienen. Seit 2023 schauen sich internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jährlich die wichtigsten Klimawandel-Indikatoren an. Dabei zeigte sich dieses Mal: Mit den aktuell historisch hohen CO2-Emissionen könnte das Budget in etwas mehr als drei Jahren aufgebraucht sein. Das Budget für 1,6 beziehungsweise 1,7 Grad Celsius wäre innerhalb von neun Jahren erschöpft.

„Das Zeitfenster, um die 1,5-Grad-Marke zu halten, schließt sich rapide“, sagt Joeri Rogelj, Studienautor und Forschungsdirektor am Grantham Institute des Imperial College London. Im vergangenen Jahr wurde die 1,5-Grad-Marke bereits zum ersten Mal überschritten: Im Vergleich zum vorindustriellen Niveau war die globale Durchschnittstemperatur um 1,52 Grad Celsius gestiegen. Davon seien 1,36 Grad eindeutig menschlichem Einfluss zuzuschreiben, heißt es in der Studie.

Auch wenn das Überschreiten der 1,5-Grad-Marke nicht das Ende des 1,5-Grad-Ziels bedeutet: Die Temperaturentwicklung ist alarmierend eindeutig – und wird weiter durch die Treibhausgasemissionen forciert.

In den vergangenen zehn Jahren wurden jährlich im Schnitt rund 53 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt, schreiben die Studienautorinnen und Studienautoren. Ein Großteil davon stammt aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Erdöl oder Erdgas, aber auch aus der Abholzung von Wäldern. Werden Bäume gefällt, wird das CO2 , das sie gespeichert haben, frei und kann sich in der Atmosphäre anreichern. Hinzu kamen 2024 die Emissionen aus dem Flugverkehr, die nach den ruhigen Corona-Jahren wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreichten.

Fachleute schätzen deshalb, dass die CO2-Emissionen 2024 knapp 42 Gigatonnen CO2 erreichen werden, etwa zwei Prozent mehr als 2023. Genaue Daten stehen noch aus. Weiterhin treiben auch die Treibhausgase Methan (das noch klimaschädlicher als CO2 ist) und Lachgas die Klimakrise voran. Der Studie zufolge ist die globale oberflächennahe Durchschnittskonzentration von Methan seit 2019 um 3,4 Prozent und die von Lachgas um 1,7 Prozent gestiegen.

„Die Emissionen des nächsten Jahrzehnts werden bestimmen, wie schnell die 1,5-Grad-Marke erreicht wird“, sagt Rogelj. „Um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen, müssen die Emissionen rasch reduziert werden.“ Die EU hat sich etwa zum Ziel gesetzt, bis 2050 Netto-null zu erreichen – also Treibhausgasemissionen so weit wie möglich zu reduzieren und restliche Emissionen zu neutralisieren. Nach Angaben der EU-Kommission könnte das erste Etappenziel (bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen EU-weit gegenüber dem Stand von 1990 um 55 Prozent sinken) schon einmal erreicht werden, wenn auch nur knapp.

„Wenn wir in den nächsten Jahren nicht entschlossen gegen die Emissionen vorgehen, werden heutige und zukünftige Generationen mit zunehmenden und dramatischen Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert sein“, warnt William Lamb vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der ebenfalls an der Studie beteiligt gewesen ist. Erste Auswirkungen konnten er und seine Kolleginnen und Kollegen schon jetzt feststellen – zum Beispiel beim Meeresspiegel.

Zwischen 2019 und 2024 ist der globale mittlere Meeresspiegel um etwa 26 mm gestiegen. Das ist mehr als das Doppelte des langfristigen Anstiegs von 1,8 mm pro Jahr seit der Jahrhundertwende. Somit beläuft sich der gesamte Meeresspiegelanstieg seit 1900 auf rund 228 mm.

Eine scheinbar geringe Zahl, räumt Aimée Slangen, Forschungsleiterin am Royal Netherlands Institute for Sea Research, ein. Die Meeresforscherin beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit den Effekten, den der Anstieg des Meeresspiegels mit den Regionen in Küstennähe weltweit haben. Denn dies hat enorme Auswirkungen – besonders auf tief liegende Küstengebiete. „Sie verstärkt Sturmfluten und führt zu stärkerer Küstenerosion, was eine Bedrohung für Menschen und Küstenökosysteme darstellt“, sagt Slangen. Rund 2,2 Milliarden Menschen, fast ein Drittel der Weltbevölkerung, leben im Umkreis von 50 Kilometern um die Küste.

„Beunruhigend ist, dass der Meeresspiegelanstieg als Reaktion auf den Klimawandel relativ langsam erfolgt“, sagt Slangen. Das heißt: Selbst, wenn die Treibhausgasemissionen plötzlich stark zurückgehen würden, würde sich das in den Ozeanen nicht sofort bemerkbar machen. Sie würden sich zunächst weiter erwärmen, weil sie eben verzögert auf Veränderungen in der Atmosphäre reagieren. „Das bedeutet, dass wir bereits mit weiteren Anstiegen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten rechnen müssen“, warnt die Meeresforscherin.

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