„Ich habe rumgefragt, welche Grundschule ich besuchen soll, und eine Antwort war, dass es in Wesendorf am meisten nach Zukunft riecht. Jetzt bin ich hier“, sagte der Ministerpräsident. Außerdem interessiere ihn die Frage, wieso in Wesendorf anders gelernt wird als an anderen Schulen. Eine knappe Antwort darauf, bevor es tiefer ins Thema ging, kam von Schulleiter Jörg Bratz: „Weil Unterricht nicht mehr funktioniert, indem die Lehrkraft vorne steht und alles vorgibt.“
Dieses System sei nach wie vor an vielen Schulen zu finden. „In Deutschland läuft der Unterricht wie vor 30 oder 40 Jahren“, sagte Bratz. Doch das funktioniere nicht mehr angesichts der heutigen Herausforderungen. Zum System gehört auch die Schulbegleitung für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf. Die Schulbegleiter sind für das jeweilige Kind zuständig, unterstützen es. Mehrere Schulbegleiter in einer Klasse sind keine Seltenheit. Doch diese Art von Förderung, zugeschnitten auf ein Kind, könne dieses auch stigmatisieren.
Die Grundschule in Wesendorf fährt ein anderes Modell. Hier gibt es keine Schulbegleitung, sondern eine Klassenassistenz. Neben der Lehrkraft ist ein weiterer Erwachsener in der Klasse – und hilft allen Kindern, die Unterstützung benötigen, nicht nur denen mit erhöhtem Förderbedarf beispielsweise wegen einer Behinderung. Auf diese Weise sei „kein inklusives Kind exklusiv, weil es gesonderte Hilfe braucht.“ Doch hinter dem System steckt noch mehr: Die Lehrkräfte müssen nicht mehr jede Stunde individuell vorbereiten, sondern haben in den Fachbereichen in Teams Unterrichtsinhalte erarbeitet, an denen sie sich jetzt nur noch zu bedienen brauchen.
Die Kinder kommen in Wesendorf morgens in den Unterricht und bearbeiten selbstständig ihre individuellen Planmappen in Deutsch und Mathe. Jedes Kind wird so individuell betrachtet und abgeholt. Im Unterricht selbst gibt es eine Lehrerzeit, in denen die Lehrkräfte am Zuge sind. Ansonsten gestalten die Kinder selbst den Ablauf nach den vorgegebenen Inhalten, die Lehrkräfte unterstützen. Das stärke die Kompetenzen der Kinder.
Das Wesendorfer System habe einen weiteren Vorteil, so Bratz: „Radikalisierte Jugendliche sind Studien zufolge immer in ihrer Kindheit beschämt worden. Wir haben uns die Frage gestellt, wie oft wir Kinder in der Schule beschämen, weil wir ihnen das Gefühl geben, nicht erfolgreich zu sein. Das haben wir geändert.“ Denn die Kinder würden mit dem Wesendorfer System so angenommen, wie sie sind. Das erfordere natürlich eine Änderung der pädagogischen Haltung. „Wir können angesichts der Herausforderungen jammern oder uns der Aufgabe stellen. Wir jammern nicht“, sagte Bratz.
Seit vier Jahren gibt es das Pilotprojekt Klassenassistenz in Wesendorf, 2024 soll es auslaufen. Elternvertreterin Beatrice Kranich forderte vom Ministerpräsidenten, sich für eine Weiterführung einzusetzen. „Die Eltern sind mit unserem System zufrieden. Wir brauchen das Pilotprojekt, um von hier aus dieses System nach und nach in allen Grundschulen im Land umzusetzen.“
Stephan Weil wollte wissen, ob das Wesendorfer System mehr Ressourcen – sprich Geld und Personal – verbrauche als das herkömmliche. Das verneinte Bratz: „Wir bräuchten nach dem herkömmlichen System mehr Schulbegleiter, als wir jetzt Klassenassistenten haben.“
Am Ende des Besuchs gab es einen zufriedenen Schulleiter: „Stephan Weil interessiert sich für das Thema Inklusion und sucht nach Ideen. Und hier in Wesendorf hat er die richtigen Fragen gestellt.“