Das ist auch im Bezirk der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stadt, zu der auch der Landkreis Gifhorn gehört, nicht anders. Wie hoch der Anteil an Frauen als Mitarbeiterinnen in Baubetrieben ist, wird bei der Handwerkskammer nicht erfasst. „Bekannt ist aber der Anteil an Frauen bei den Auszubildenden in den jeweiligen Gewerken, was ja eine Tendenz aufzeigt“, sagt Sandra Jutsch von der Stabsabteilung Kommunikation und Marketing. Im Bauhauptgewerbe – dazu zählen etwa Maurer, Zimmerer, Hoch- beziehungsweise Tiefbaufacharbeiter oder Beton- und Stahlbauer – ist der Anteil an weiblichen Auszubildenden sehr niedrig.
Im Ausbaugewerbe sieht es etwas anders. Das gilt vor allem für das Tischler- sowie das Maler- und Lackiererhandwerk, die mittlerweile laut Jutsch sogar zu den Top-Ten-Ausbildungsberufen bei den jungen Frauen im gesamten Bezirk gehören. So gibt es im Landkreis Gifhorn neun angehende Malerinnen und Lackiererinnen, im Landkreis Peine sind es sechs und in der Stadt Wolfsburg zehn. Das sind jeweils um die 30 Prozent aller Auszubildenden.
Ähnlich wie bei den Malern sieht es bei den Tischlern aus: Im Landkreis Peine sind fünf von 20 Auszubildenden weiblich (25 Prozent), im Landkreis Gifhorn sind es zwei von 15 (13,3 Prozent) und in der Stadt Wolfsburg sogar vier von zwölf (33,3 Prozent).
Eines der Unternehmen im Kammerbezirk, das auf Frauen setzt, ist die Tischlerei Meyer & Comp. in Velpke bei Wolfsburg. Dort besteht die Hälfte der Belegschaft aus Frauen. „Ich hatte in den vergangenen Jahren mehr Bewerberinnen als Bewerber“, sagt der Betriebsinhaber Roland Hage gegenüber der Handwerkskammer. Mit der Arbeitseinstellung und der Leistung der Frauen sei er hoch zufrieden, ein Unterschied zu den männlichen Kollegen sei nicht zu bemerken. Auf den Baustellen sei die Stimmung gut: „Das ist auch darauf zurückzuführen, dass hier Frauen und Männer ihre Stärken zusammenführen“, ist der Chef überzeugt. Oft komme es nur auf eine gute Arbeitsteilung an; an die eigenen Grenzen würde beide Geschlechter mal stoßen. „Jeder hat andere herausragende Fähigkeiten – das ist geschlechterunabhängig“, so Hage.
Der 48-Jährige hat in der Vergangenheit in seiner Tischlerei immer mal wieder Frauen ausgebildet, doch noch nie seien es so viele gewesen, die sich für das Handwerk interessieren, wie jetzt. Von den aktuell vier Auszubildenden in seinem Betrieb sind drei Frauen. Hage legt viel Wert auf das Betriebsklima, er wünscht sich eine menschliche, familiäre Atmosphäre. „Wer sich wohlfühlt, kommt gern zur Arbeit, ist motiviert und zufrieden“, ist er überzeugt, und Rückmeldungen bestärkten ihn in dieser Betriebsphilosophie. Seine Gesellein Sophie Wehke etwa fühle sich so wohl, dass sie gleich noch die Meisterschule absolviere, um künftig leitende Aufgaben zu übernehmen und in ihrem Ausbildungsbetrieb die Karriereleiter mit Unterstützung des Chefs weiter hinaufzusteigen. Ihre Gesellenprüfung hatte die junge Frau mit der Note eins bestanden.
Bis 2030 werden voraussichtlich an die 100.000 Stellen in der Baubranche besetzt werden müssen. „Es ist geradezu absurd und töricht, die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung in unsere Fachkräfteplanung und -gewinnung nicht mit einzubeziehen“, sagt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB). Erforderlich ist unter anderem ein Imagewandel. Noch bis 1994 war es Frauen in Westdeutschland verboten, auf dem Bau zu arbeiten. Das Klischee der klassischen Männerberufe hat sich seither gehalten.
Dabei seien die ursprünglich mit der Branche verknüpften Assoziationen wie die körperlich anstrengende Arbeit größtenteils nicht mehr zutreffend, sagt Fanny Stegemann, Sprecherin des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB): „Die fortschreitende Technisierung und Digitalisierung erleichtert die Arbeit an vielen Stellen. Zudem wird zukünftig noch mehr fachliches Know-how im Vordergrund stehen, welches sowohl von Frauen als auch Männern gleichermaßen eingebracht werden kann.“
Müller verweist auf Studien, die belegen, dass es hinsichtlich der körperlichen Leistungsfähigkeit weniger Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt als innerhalb der jeweiligen Gruppe. Als Problem sieht er eher, dass auf Baustellen oftmals ein rauer Umgangston herrsche und vereinzelt Sexismus zu beobachten sei. Unternehmen sollten aktiv dagegen angehen und bei weiblichen Angestellten gezielt nachfragen, sagt der Verbandschef. Außerdem sollten die Vorgaben der Arbeitsstättenrichtlinie konsequenter eingehalten werden, die etwa getrennte Sanitärbereiche vorsieht.
Die Arbeitsbedingungen für Frauen zu verbessern, reiche aber allein nicht aus, so Müller weiter: „Es geht vielmehr auch um die gleichberechtigte Wahrnehmung von Frauen in Teams beziehungsweise die selbstverständliche Anerkennung als Führungskraft, die nicht immer gegeben ist.“ Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch eine Angleichung der Gehälter. Denn laut Arbeitsmarktreport 2024 der Bauindustrie liegen diese bei hochqualifizierten Frauen noch deutlich unter denen ihrer männlichen Kollegen.
Er hofft darauf, dass es immer mehr Frauen mit Vorbildfunktion geben wird, die von ihren Tätigkeiten und ihrem Werdegang berichten.“ Sie könnten vermitteln, welche Wege und Ziele Frauen in der Baubranche verfolgen und welche Hürden sie überwinden müssen. Eine von ihnen ist die Bauingenieurin Heike Böhmer, die das Institut für Bauforschung (IFB) leitet. Ihrer Ansicht nach meiden viele Frauen die Baubranche, weil Familie und Beruf schwer zu vereinbaren seien. Frauen scheuen ihrer Erfahrung nach zudem oft unbewusst Verantwortung.
Unterstützung der Frauen untereinander ist hilfreich. Netzwerke bieten weiblichen Fachkräften eine Plattform für Austausch, Wissensvermittlung und Mentoring. Frauen können darüber Ansprechpartnerinnen finden, die sie beim Einstieg in die Branche unterstützen und ihre Karriere fördern. Es gibt durchaus Frauen, die die größten Projekte in verantwortlichen Positionen leiten und ihre Erfahrungen weitergeben können.