Die 57-Jährige kam aus Köln nach Gifhorn, ist „schon immer viel gereist“ und eine ehemalige Grundschullehrerin. Seit zwei Jahren erteilt sie im Auftrag des Landkreises Flüchtlingskindern schulischen Nachhilfeunterricht im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets. Dabei blieb es aber nicht, die Familien der Kinder kamen immer wieder zu ihr, sie wurde gebeten, zu helfen. Sie lernte die Probleme kennen, mit denen die Migranten zu tun haben, beispielsweise bürokratische „Stapel von Formularen“. Diese auszufüllen sei für Menschen, die der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind, eine große Hürde. Geholfen hat Ben Hicham also ohnehin schon: „Dadurch kommt Wissen in mein Leben. Und es macht Spaß“.
Das gilt auch für Haji Mohamed, der in den Flüchtlingseinrichtungen im Gifhorner Clausmoorhof und in Lessien viele Bewohner kennt. „Fast schon zu viele“, wie er einräumt – denen er helfen möchte, jetzt noch mehr als vorher: „Das ist mein Traum“, so der 37-jährige Vater von drei Kindern, dessen Frau im kirchlichen Gifhorner Paulus-Kindergarten arbeitet und der selbst im August an den Berufsbildenden Schulen 1 eine Erzieher-Ausbildung beginnt. In Syrien, berichtet Haji Mohamed, habe er Jura studiert – aufgrund des Krieges ohne Abschluss. Dabei arbeitete er nebenbei als Lehrer. „Oft ist die Tätigkeit als Integrationslotse auch ein Sprungbrett in den Beruf in Deutschland“, sagt Josefin vom Felde, Abteilungsleiterin Stabsstelle Integration und studierte Kulturwissenschaftlerin.Beim Aufeinandertreffen von Kulturen – wie im Falle von Zugewanderten und Deutschen – brauche es „öfter ein freundliches ,Wer bist du?’“ als einen taxierenden Blick, der häufig auf Klischees beruht. Abschottung führt zu einer Verhärtung der Strukturen“. Haji Mohamed und Ben Hicham, erhielten zusammen mit zwölf weiteren Integrationslotsen in dieser Woche ihre Zertifikate. Sie bekräftigen in diesem Zusammenhang im Einklang mit der Projektleiterin Jutta Leinemann, dass es auf Seiten der Zugewanderten auf jeden Fall „ein großes Kontaktbedürfnis“ in Richtung der Deutschen gebe: „Aber es ist schwer, reinzukommen, weil es kaum Gelegenheit, aber auch zu wenig Deutschkurse gibt“, meint Ben Hicham. Sie selbst liebt es, in Kontakt mit anderen Kulturen zu treten: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Jesiden kennenlernen würde.“ Auch beim Knüpfen von Kontakten können die Integrationslotsen unterstützen, wie Leinemann erklärt.
Insgesamt gibt es im Landkreis Gifhorn aktuell 40 ehrenamtliche Lotsen, die auf Eigeninitiative oder Bitten der verschiedenen Institutionen Migranten in allen Lebenslagen – von Behördengang und Arztbesuch bis Schriftverkehr und Kitaplatz – unterstützen. „Sieben der 40 nehmen gerade eine Auszeit“, sagt zum Felde. In 2023 betreuten 19 Lotsinnen und Lotsen 54 Fälle. Das Projekt gibt es schon seit 2008, aber die personelle Fluktuation ist hoch. „Die Intensität der Begleitung reicht von wöchentlichen bis sporadischen Treffen viermal im Jahr.“ Die Begleitungen laufen meist länger als sechs Monate, in der Regel ein bis zwei Jahre. Einmal im Monat bietet das Projekt der Stabsstelle Integration in Kooperation mit Caritas und L!feConcepts ein (freiwilliges) Treffen für die Integrationslotsen an, bei dem Probleme besprochen werden können. Im Rahmen ihrer Tätigkeit bekommen die Lotsen Fahrtkosten-Erstattung und eine Aufwandsentschädigung von fünf Euro (maximal 50 Euro im Monat insgesamt).Zum Felde und Leinemann freut es, dass unter den jetzt zertifizierten Lotsen zehn mit Migrationshintergrund unterschiedlicher Herkunft sind, weil diese aus eigener Erfahrung die Herausforderungen kennen, deren Bewältigung für ein Ankommen im Land und in dessen Gesellschaft nötig ist – und weil muttersprachliche Kenntnisse bei der Unterstützung der Zugewanderten gerade am Anfang oft von Vorteil sind. Für Kamal Haji Mohamed ist die Aufgabe als offizieller Integrationslotse „der richtige Weg. Ich freue mich sehr darauf“. Und dass er jetzt eigene Visitenkarten hat mit seinem Namen, seiner Funktion und Kontaktdaten macht ihn stolz und stärkt sein Selbstbewusstsein. Und Katja Ben Hicham fasst einen anderen Gedanken in Worte: „Man geht selbst mit vorwärts, wenn man anderen hilft.“