Nun geht der Krimi für die Archäologen erst richtig los. Die Schädelfunde - sorgsam in Wasser aufbewahrt - elektrisieren auch den Kreisarchäologen Ingo Eichfeld und den Grabungs- und Baubegleitungsexperten Klaus J. Borchert. Diese Schädel könnten Geschichte schreiben. Was am meisten für Rätsel sorgt: Ein Schädel ist denkbar klein, der Gebissbereich sehr winzig. Handelt es sich um die Überreste eines Kindes? Eichfeld und Kollegen halten sich mit Mutmaßungen bedeckt. Auch die Tatsache, dass der zweite Schädel offenbar mit einer Säge im Kopfbereich abgetrennt wurde, die Stirn zwei Sägespuren aufweist, gibt Rätsel auf.
Wie alt die Menschenschädel sein könnten? Die schwarze Färbung deutet darauf hin, dass diese Funden vermutlich schon sehr, sehr lange am Rand des Grundstücks lagern. Aber auch hier möchte Ingo Eichfeld detailreichen Untersuchungen bei Spezialisten nicht spekulativ vorgreifen. Pi mal Daumen könnte es durchaus 200 Jahre her sein, „aber das müssen wir noch abwarten“. Auch der Fundort direkt am hölzernen Pfosten könnte mit dem Schädelfund in Verbindung stehen. Könnte, betonen die grübelnden Experten am Freitag bei der Besprechung.
Denkbar sei vieles, meint auch Klaus J. Borchert. Theoretisch könne auch ein Forscher, der sich in Gifhorn aufgehalten habe, vor vielen Jahren die Schädel einfach vergraben haben. Ob die Schädel also von Menschen aus Gifhorn stamme, könne man nicht einfach behaupten. „Für Gifhorn ist dieser Fund einmalig“, sagt Heinz Gabriel. Sterbliche Überreste habe er durchaus schon in Baugruben und bei den Arbeiten am Friedhof erlebt - „aber das hier habe ich noch nie gesehen“.
Und auch Ingo Eichfeld ist überrascht von dem außergewöhnlichen Fund. Um das Rätsel zu lüften, werde die Kreisarchäologe entsprechende Experten kontaktieren. „Das wird sicher interessant, was dabei herauskommt“, sagt Eichfeld.
Interessant genug für die Baustellenbegleiter wäre eigentlich schon gewesen - wie erwartet - Teile der alten Knickwallanlage freizulegen. Den unterirdischen Verlauf hatten die Archäologen auch so vermutet, wie Eichfeld auf einer Karte von Gifhorn aus dem Jahr 1699 skizziert. Teile des gefundenen Holzbauwerkes schickt Eichfeld nun nach Berlin, wo ein Spezialist die Stücke datieren wird. Wie alt die alte Knickwallanlage genau sei, könne man nicht sagen, klärt Experte Klaus J. Borchert auf. „Der Name Knickwall hat aber nichts mit dem geknickten Verlauf zu tun, sondern mit geknicktem Holz, einer Hecke, die der Abwehr diente.“
Beim Gifhorner Architekten Holger Hörmann, der den Neubau des „Domizils an der Aller“ geplant hat, kreisen schon die Gedanken, wie man den historischen Holzfund in Teilen am oder im Neubau angemessen integrieren kann. Auch Investor David Reitz, der gerade die acht entstehenden Eigentumswohnungen am Knickwall vermarktet, zeigt sich aufgeschlossen, den archäologischen Holzfund zu integrieren.
Eine Woche lang waren die Archäologen nun auf dem Baufeld aktiv. Das ehemalige Wohnhaus aus den 1920er-Jahren ist inzwischen komplett abgerissen. Ab nächster Woche wird Boden aufgeschüttet. Investor David Reitz und Architekt Holger Hörmann wollen sicher gehen, dass kein Hochwasser den Neubau fluten kann. Laut Karte von 1699 lag das Grundstück ursprünglich einmal im Flussbereich. Das hat sich im Laufe der Gifhorner Stadtentwicklung dann geändert.
Dass er auf solch historischem Grund und Boden etwas Neues entstehen lässt, fasziniert David Reitz. Von Ärger keine Spur, in Zeitverzug bringen die Forschungen der Archäologen das Bauprojekt ohnehin nicht. Im Oktober 2025 soll der Neubau am Knickwall fertig sein, drei der acht Wohnungen sind bereits verkauft. „Ist doch cool, wenn hier so viel Gifhorner Geschichte drin steckt.“