„Die Mitarbeitenden der Leitstelle sind auch für Notrufe, bei denen es Sprachbarrieren gibt, geschult“, versichert Shinin Schönberg, Sprecherin der Stadt Braunschweig. Zunächst greifen sie demnach auf eigene Fremdsprachenkenntnisse zurück. „Häufig lässt sich zumindest der grundsätzliche Anlass des Notrufs trotz Sprachbarriere ermitteln und entsprechende Rettungskräfte entsenden.“ Unterstützung dabei liefere eine strukturierte Notrufabfrage in verschiedenen Sprachen. Oder man schalte andere Leitstellen mit besonderen Sprachkenntnissen ein. Hilfesuchende ihrerseits hätten oft Angehörige, die übersetzen könnten.
Schönberg stellt klar, dass dennoch eine Zeitverzögerung nicht immer auszuschließen ist. Und dass es Fälle ohne gemeinsame sprachliche Verständigung gibt. Erfahrungen, die auch die Leitstelle in Wolfsburg macht, so Stadtsprecher Jan-Niklas Schildwächter. „In Leitstellen kann die Kommunikation mit Anrufenden, die nicht Deutsch sprechen, eine erhebliche Herausforderung darstellen. Diese Erfahrungen und Herausforderungen sind besonders relevant in multikulturellen Gesellschaften.“ So könnten Sprachbarrieren zu fatalen Missverständnissen führen, zum Beispiel auch durch verschiedene Dialekte und kulturelle Unterschiede. Angst und Stress bei den Betroffenen könnten dies noch verstärken. Das verkompliziere die Situation zusätzlich und verstärke den Stress an beiden Enden der Leitung.
In der Leitstelle im Gifhorner Heidland beherrschen Mitarbeitende englisch, griechisch, italienisch und französisch. Zusätzlich kommt laut Landkreis-Sprecherin Anja-Carina Riechert eine Übersetzungs-App zum Einsatz. Dennoch komme es bislang zu Verzögerungen, „da die Kommunikation komplexer ist und mehr Zeit in Anspruch nimmt“. Noch - denn der Landkreis Gifhorn installiert im Oktober Künstliche Intelligenz.
Seit 2021 läuft in der Leitstelle Ludwigshafen ein Pilotprojekt mit dem Fraunhofer-Institut aus Kaiserslautern mit einer KI, die 22 Fremdsprachen nahezu simultan übersetzen kann. In Braunschweig ist das noch kein Thema, so Schönberg. „Bisher sind unseres Wissens nach noch keine KI-gestützten Systeme für Leitstellen am Markt erhältlich. Es ist zudem zu hinterfragen, ob jedes System, was als KI betitelt wird, auch tatsächlich eine Künstliche Intelligenz ist.“ Die Stadt Wolfsburg verfolgt das Ludwigshafener Projekt mit Interesse, hat aber laut Schildwächter ebenfalls noch keine KI im Einsatz. „Insgesamt ist das Engagement mit KI-Technologie in Leitstellen ein dynamischer und sich ständig weiterentwickelnder Prozess. Wir haben einen stetigen Blick auf neue Entwicklungen, ethische Fragen, praktische Anwendungen und tauschen dieses Wissen in gemeinsamer Vernetzung mit anderen Leitstellen aus.“
Die Gifhorner dagegen machen nun Nägel mit Köpfen. „Die Leitstelle Gifhorn hat die Implementierung der KI-gestützten Sprachsoftware der Firma Frequentis beschlossen“, so Riechert. „Die Software wird voraussichtlich ab Oktober installiert. Sie ermöglicht es, nahezu alle Fremdsprachen in Echtzeit zu übersetzen und bietet zusätzlich die Möglichkeit, in der Sprache des Notrufenden zu antworten.“Gifhorn gehört damit zu Pionieren: Erfahrungen mit dem System liegen laut Riechert nämlich noch nicht vor, da es sich noch in der Vorbereitungsphase befindet.
Alle drei Institutionen sehen auch Grenzen der KI. Riechert: „In Krisensituationen bleibt der Mensch unverzichtbar, da er besser in der Lage ist, Empathie zu zeigen und flexible Entscheidungen zu treffen.“ Bei einem Notruf handele es sich immer um eine Stresssituation. „Der oder die Anrufende befindet sich in der Regel in einer Ausnahmesituation, und eine adäquate Reaktion auf die emotionale Lage des Anrufers oder der Anruferin ist im Notrufgespräch unabdingbar“, so Schönberg. Eine KI könne das nicht leisten. Schildwächter: „KI kann viele Daten analysieren und Muster erkennen, hat jedoch Schwierigkeiten, in unvorhersehbaren oder sehr komplexen Situationen Entscheidungen zu treffen, die menschliches Urteilsvermögen erfordern. Menschen können Kontext, Emotionen und Ethik besser verstehen.“
Hinzu komme eine weitere Gefahr, sagt Schildwächter. „KI-Systeme sind anfällig für technische Probleme, Cyberangriffe oder Datenverluste. In solchen Fällen ist menschliches Eingreifen und Handeln unerlässlich.“