„Ich habe die Hoffnung, dass der Angeklagte diese Chance nutzen wird“, sagte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Viele Täter seien sich nicht bewusst, um welches Strafmaß es bei ihren Taten gehen würde, so die Richterin weiter. Bei dem angeklagten Tatvorwurf gäbe es einen Strafrahmen von fünf bis 15 Jahren, fügte sie hinzu.
Der Sachverhalt war für die Kammer ganz klar und stellte sich so dar, wie vom Staatsanwalt in seinem Plädoyer benannt: Der 35-jährige Angeklagte hatte mit seinem jüngeren Freund Material in einem Baumarkt in Gamsen gekauft, um seinen Roller neu zu lackieren. Insgesamt zahlten sie für Farbspraydosen und Kleinmaterial 62,44 Euro. Dem Ladendetektiv war jedoch aufgefallen, dass nicht alles bezahlt worden war, er stellte die Männer vor dem Baumarkt zur Rede.
Mit einer Gartenschere bedrohte der Angeklagte den Detektiv, um seinem Freund die Flucht zu ermöglichen. Der ließ sich nach einer kurzen Auseinandersetzung aber in das Büro des Marktleiters führen. Der 35-Jährige jedoch flüchtete über die Hamburger Straße in Richtung Sägewerk, gefolgt vom Ladendetektiv. In der Bauchtasche des Hoodies vom Angeklagten steckte der geklaute Schleifschwamm im Wert von 2,99 Euro. Hätte er den Schleifschwamm einfach weggeworfen, wäre eine Straftat erheblich schwerer nachzuweisen gewesen, hatte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer bemerkt. Der Angeklagte hat allerdings bewusst in der Gasse am Sägewerk angehalten und ist mit der Farbspraydose drohend auf den Ladendetektiv zugegangen, um diesen mit Farbe zu besprühen.
Mit einer Latte wehrte der Ladendetektiv jedoch seinen Angreifer ab. Der 35-Jährige hätte durchaus weiter flüchten können, er hätte auch den Schwamm wegwerfen können, davon ist die Kammer überzeugt. Das wäre besser gewesen, beides hat er jedoch nicht getan, so die Vorsitzende Richterin. Damit ist für die Kammer klar, dass er im Besitz des Schleifschwammes bleiben wollte.
Die Kammer ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich hier um einen minderschweren Fall des räuberischen Diebstahls handelt. Sie begründet dies unter anderem damit, dass die Tatfolgen für den Ladendetektiv gering waren und der Angeklagte erhebliche psychische Probleme hat. In einem Gutachten wurden ihm mittelgradige Depressionen, eine Angsterkrankung und eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung attestiert. Keinen mittelschweren Fall anzunehmen, wäre auch bei dem Wert des geklauten Gegenstands nicht gerechtfertigt gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Dadurch hat sich auch der Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren verschoben.
Strafmildernd für den Angeklagten wirkte sich aus, dass er geständig war – wenn auch erst in seiner zweiten Einlassung. Auch der geringe Wert der Beute, seine psychischen Probleme und seine durchaus schwere Kindheit berücksichtigte die Kammer. Denn schon als Kind musste er aus seiner Familie genommen werden, verbrachte Jahre in Heimen und Pflegefamilien, galt als schwer erziehbar. Seine 13 Einträge im Strafregister und dass er zum Zeitpunkt der Tat noch unter Bewährung stand, wirkten sich negativ auf das Urteil aus.
Eine Stunde brauchten die Richter, auch um zu beraten, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. „Ein Grenzfall“, sagte die Vorsitzende Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Der Angeklagte sei reumütig und es gäbe keine schweren Tatfolgen. Seine ehemalige Bewährungshelferin hatte als Zeugin geschildert, dass er sein Leben neu regeln möchte, dafür aber Unterstützung benötige. Er versuche einen neuen Betreuer zu finden, möchte zur Schuldnerberatung, um seine immens hohen Schulden loszuwerden. Die Kammer sieht darin sein Bemühen, sein Leben in die richtigen Bahnen zu lenken. „Wir möchten Ihnen nochmal die Chance geben“, so die Vorsitzende Richterin weiter. Erst ein einziges Mal sei er Bewährungsversager gewesen, dies sei aber schon zehn Jahre her.
Für vier Jahre steht er nun unter Führung und Aufsicht eines Bewährungshelfers. Als Auflage muss er innerhalb eines Jahres 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Eindringlich ermahnte ihn die Richterin am Schluss, keine Straftaten mehr zu begehen und das in ihn gesetzte Vertrauen nicht zu missbrauchen.