Mit dem Osten Europas hatte der Gifhorner schon länger geliebäugelt. Polen, Moldawien, Transnistrien und die Ukraine „waren für mich schon immer Sehnsuchtsziele, die ich aber wegen des aktuellen russischen Angriffskriegs etwas in den Hintergrund geschoben hatte“. Jetzt wagte er es doch - mit etwas Leichtsinn, der Zustimmung seiner Frau, Risikobereitschaft und Gottvertrauen.
Über Oberschlesien, Heimat seiner verstorbenen Schwiegermutter, und die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz/Birkenau wollte er von Lublin kommend bei Husi in die Ukraine einreisen, „was sich aber als nicht so einfach entpuppte“. Dort blitzte er ebenso ab wie bei Cahul: Übergang nur für Autos. Doch Rosenfeldt gab nicht auf: Ein ukrainisches Paar aus Odessa wuchtete das Fahrrad auf die am Boden seines VW-Busses liegenden Koffer, Rosenfeldt stieg zu - und an der ersten Ecke hinter der Grenze wieder aus.
Die ländlich geprägte westliche Ukraine begeisterte ihn. „Von Krieg keine Spur - wenn ich nicht ab und zu die allgegenwärtigen Stromabschaltungen zu spüren bekommen hätte“. Und er begegnete immer wieder Soldaten in getarnten Unterkünften, an provisorischen Straßensperren zur Sicherung sensibler Infrastruktur. Dort musste er den Pass vorzeigen, manchmal auch seine Taschen öffnen. „Ich hätte gerne einige Fotos von diesen Sperren gemacht“, aber schon beim ersten Versuch standen zwei Soldaten neben ihm und drohten mit Strafe, falls er nicht sofort die Bilder lösche.
In Kiew begegnete er dem Krieg das erste Mal ganz unmittelbar. Sirenengeheul aus allen Richtungen, wenig später Donnerschläge aus der Ferne. „Auf jeden Fall hier raus“, dachte Rosenfeldt. Was fast unmöglich war: Die Satellitennavigation funktionierte nicht, und ohne Google Maps fiel es schwer, den richtigen Weg zu finden. „Zum Glück hatte ich einen Kompass.“ Und trotzdem blieb es wegen abknickender und durchgehend von Leitplanken gesäumter Straßen ein Abenteuer.
Für Soldaten und Polizisten war der Fahrradtourist verdächtig: ein Spion? Ein Deserteur? Immer wieder wurde Rosenfeldt auf dem Weg nach Moldau kontrolliert, an der Grenze dann besonders intensiv: „Alles wurde genauestens inspiziert, bis zu meiner letzten Socke.“ Er musste nachweisen, dass er über genügend Geld verfügte und nicht betteln musste. „Ich bin schon viel gereist, aber so etwas hatte ich noch nicht erlebt.“
Auf Moldau war der Gifhorner gespannt. Erwartet hatte er landschaftliche Kostbarkeiten und die Anfänge touristischer Erschließung. Stattdessen gleich nach der Einreise eine Baustelle von 50 Kilometer Länge, Schotter und Staub ohne Ende und alle naselang ein Schild mit dem Hinweis auf die EU als Geldgeber. Um in der Hauptstadt Chisinau zu landen, blieb Rosenfeldt nichts anderes übrig, als durchzuhalten. Konnte er die Straße doch mal verlassen, fand er „ein Land als Garten“. Obst und Wein, so weit das Auge reichte. „Wie arm das Land ist, sieht man in den Dörfern.“ In den Städten, vor allem in Chisinau, pulsierte das Leben.
Nach einem Abstecher in das von keinem Staat anerkannte Transnistrien - für das er ein Visum bekam, das mehr nach einem Kassenzettel aussah - mit großer Armut und noch größeren Denkmälern aus der Sowjetzeit in der Hauptstadt Tiraspol radelte Rosenfeldt über Moldau nach Odessa. Die Hafenstadt am Schwarzen Meer präsentierte sich ihm als europäische Welt voller Cafés, funktionierenden Geldautomaten und touristischem Flair. Seine Route führte ihn weiter entlang des Schwarzen Meers, „gefühlt wie Urlaub, von Kriegshandlungen keine Spur“. An den kilometerlangen Stränden spielte sich der Urlaubstrubel vor seinen Augen ab. „Das zeigte mir, dass man sich hier scheinbar mit der bedrohlichen Situation arrangiert hat.“
Der Krieg holte ihn 50 Kilometer später ein: Auf dem direkten Weg nach Rumänien wurde Rosenfeldt von ukrainischen Soldaten gestoppt. „Es half mir nichts zu beteuern, ein deutscher Tourist zu sein.“ Seine Vermutung: „Dass dort Raketenschilde stationiert sind, die ich nicht sehen durfte.“ Die Alternative: ein Umweg um das Dniester-Delta herum. Unterwegs musste er nach längerer Überprüfung durch ukrainische Soldaten 30 Kilometer mit militärischem Begleitfahrzeug radeln. „So wurde sichergestellt, dass ich die Strecke nicht zwischenzeitlich verlasse und womöglich Handlungen im Sinne Russlands tätige.“
In Rumänien lauerte eine neue Gefahr: Schilder warnten vor frei laufenden Bären, „die mir aber zum Glück nicht über den Weg gelaufen sind“. Und dann, 200 Kilometer vor Bukarest, wurde ihm plötzlich übel. Die Magenbeschwerden konnte sich der Gifhorner nur so erklären, dass er etwas Verdorbenes gegessen oder getrunken hatte. Er schleppte sich ins nächste Krankenhaus. Dort verbrachte er vier Stunden am Tropf, sein Blut wurde getestet, und mit ein paar Ratschlägen zu Essen und Trinken wurde Rosenfeldt entlassen. „Kostet nichts“, bekam er auf seine Frage nach der Bezahlung zu hören.
„Die folgenden 200 Kilometer bis Bukarest waren die für mich schwersten, da ich mich nach der mutmaßlichen Vergiftung noch nicht wieder vollständig erholt hatte.“ Schweren Herzens verzichtete Rosenfeldt auf die Rückfahrt über Serbien, Kroatien, Ungarn und Tschechien, brach die Tour ab und trat mit dem Flieger die Heimreise an, um sich gründlich ärztlich durchchecken zu lassen. Ergebnis des Checks: kerngesund.