„Bei uns ist das politische Interesse auf jeden Fall hoch, zumal unsere finanzielle und existenzielle Zukunft auch von der Politik abhängt“, sagt Dominik Ruder vom Queeren Netzwerk in Gifhorn. Das Netzwerk habe aber mittlerweile einen guten Schwerpunkt auf der politischen Jugendbildung und arbeite das in verschiedenen Aktionen auf. Der Grund, warum gerade im Queeren Netzwerk solch ein großes Interesse an Politik herrscht, lässt allerdings aufhorchen: „Gerade unter Jugendlichen, die einer Minderheit angehören, bemerken wir eine starke Politisierung in den letzten Jahren. Besonders, weil junge Menschen insgesamt sich immer weniger gesehen fühlen, wenig beachtet, und nicht tatenlos zusehen wollen, sondern dagegen etwas unternehmen wollen und aktiver werden“, sagt Dominik Ruder.
„Es ist auch mein Eindruck, dass sich Jugendliche immer mehr für Politik interessieren, und das begrüße ich sehr“, sagt Gifhorns Kreisschülersprecherin Emma Lou Menges. „Ich freue mich immer wieder, mich mit neuen Jugendlichen zu vernetzen. Es ist schön zu sehen, wie man häufiger gefragt wird: ‚Du, sag‘ mal Emma Lou, wie bist du eigentlich zur Politik gekommen?‘ Mehr und mehr Jugendliche für demokratische Themen zu interessieren und für politisches Ehrenamt zu begeistern, ist mir ein großes Anliegen. Dementsprechend empfinde ich die derzeitige Entwicklung als durchaus positiv, wobei ich mit Besorgnis auf das steigende Interesse an Rechts blicke, welches leider auch in meiner Generation steigt.“ Diesem gelte es selbstverständlich, mit verbesserter Aufklärung und politischer Bildungsarbeit entgegenzuwirken.
Emma Lou Menges benennt auch Gründe, die aus ihrer Sicht zu diesem gesteigerten Politik-Interesse bei Jugendlichen führen. „Ich denke, dass Jugendliche merken, wie wichtig ihre Stimme ist, vor allem in diesen Zeiten.“ Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen, wie beim Krieg in Europa, die Wirtschaftskrise mit einhergehender Angst vor der Transformation und der steigende Rechtsextremismus und -populismus als Gegner der demokratischen, fortschrittlichen Kräfte führt sie dabei als Stichworte an. Das Wichtigste sei deshalb, dass alle politischen demokratischen Kräfte konstruktive Antworten auf diese Zukunftsängste liefern müssten, um Menschen aller Altersgruppen, vor allem Jugendlichen, die mit diesen Krisen zukünftig arbeiten werden müssen, die Sicherheit einer gerechten, sozialen und lebenswerten Zukunft zu geben.
Sie selbst sei seit ihrem zwölften Lebensjahr ehrenamtlich in Schule und Politik engagiert, sagt die Elftklässlerin. „Insbesondere die Wichtigkeit von jungen Menschen in Bereichen wie Bildungspolitik, generellem politischen Engagement und Teilhabe in Vereinen und Gewerkschaften wächst täglich in ihrer Relevanz für unsere Gesellschaft. Es ist mir deshalb ein persönliches Anliegen, Jugendlichen und Kindern die Möglichkeit zu geben, für ihre Stimme einzustehen und für ihre Zukunft zu kämpfen, um neben der Bildung in Schule wichtige Werte für ihr weiteres Leben wie Verantwortung, Solidarität und Demokratieverständnis ausgeprägt erlernen zu können“, sagt sie. Und sie wirbt bei den jungen Leuten für mehr politisches Engagement: „Man bekommt im politischen Engagement vor allem viel Ablenkung, weil es immer wieder neue Themen, neue Debatten, aber vor allem neue Menschen gibt, die man kennenlernt und sich vernetzt.“
Dem Interesse der Jugendlichen an Politik tragen auch die lokalen Schulen Rechnung. Ein paar Beispiele: Im September gab es die ersten „Demokratietage“ am Gifhorner Humboldt-Gymnasium zu den Themen 75 Jahre Grundgesetz, Fakenews, Rassismus und mit hochrangigem Politikerbesuch. Politische Bildung beginnt aber bereits in den Grundschulen im Kreis. Die rund 300 Schülerinnen und Schüler der Grundschule in Wesendorf fertigten im Vorfeld der Europawahl im Mai ein großes Plakat mit zahlreichen Handabdrucken an - von allen Kindern, die sich hinter den 1. Artikel des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ stellten. An der Schule gibt es zudem demokratische Entscheidungen der Kinder in den Klassenräten sowie im Kinder-Parlament. An der Gifhorner Freiherr-vom-Stein-Hauptschule gingen 81 Schüler und Schülerinnen der Klassen 8a, 8b, 9a sowie 10b im Rahmen der Juniorwahl zur EU-Wahl an die Urnen – nach wochenlanger inhaltlicher Beschäftigung mit der EU, dem EU-Parlament, dem Wahlrecht sowie den Zielen der zur Wahl antretenden Parteien.