Ein Kollege im Zuschauerraum, der ihr am nächsten sitzt, nimmt am Ende der Verhandlung die 26-jährige Polizistin in den Arm. Die Frau, die eben noch dem Schöffengericht von ihrem traumatischen Erlebnis und den Folgen bis hin zu psychotherapeutischer Betreuung gegen Angstattacken berichtet hat, kämpft mit den Tränen.
Derweil schütteln draußen auf dem Flur jene Kollegen, die als Zeugen geladen waren oder aus Interesse dabei waren, fassungslos den Kopf. Sie verstehen nicht, warum der Aspekt, dass der heute 45-Jährige an jenem 4. April 2023 in Leiferde mit quietschenden Reifen auf ihre Kollegin zugefahren war, nur unter „fahrlässiger Körperverletzung“ firmiert. Immerhin: Kurz nach der Tat sprachen die Behörden noch von Ermittlungen vom Anfangsverdacht eines versuchten Tötungsdelikts. So sehen sie das heute noch.
Die 26-Jährige hat an jenem Tag mit einer schnellen Bewegung gerade so noch verhindert, vollständig über den Haufen gefahren zu werden. Dennoch traf der Audi sie so, dass sie sich Prellungen am linken Fuß und an der rechten Hand zuzog. Die seelischen Verletzungen waren heftiger. Bis Oktober vorigen Jahres war sie in Therapie.
Drei Wochen sei sie krank geschrieben gewesen, berichtet sie dem Gericht. Mit dem Außendienst habe es noch etwas länger gedauert. Bei quietschenden Reifen oder wenn ein Auto in ihre Richtung fuhr, bekam sie Panikattacken, berichtet sie. Diese äußerten sich in „Druck auf der Brust, Herzrasen, schwitzige Hände und Fluchtreflex. Ich war schon stark eingeschränkt.“
Zwei Wochen vor dem Prozess hat der Angeklagte einen Brief geschrieben und sich im Prozess entschuldigt. Doch bei reuigen Worten bleibt es nicht. Immerhin hakt das Schöffengericht gleich noch ein sogenanntes Adhäsionsverfahren mit ab: Der Angeklagte hat 4.000 Euro an die Beamtin zu zahlen.
Rein rechtlich ist der Aspekt rund um die Beamten nicht das tragende Element des Falls. Es geht um viel mehr, nämlich unter anderem um jene 50 Gramm Kokain im Audi. Während die Ermittlungsbehörden, allen voran die Staatsanwaltschaft Hildesheim, bislang von einer zufälligen Kontrolle sprachen, war diese nicht so zufällig. Nicht umsonst war ein Großaufgebot an Polizei in Leiferde.
An jenem 4. April war der 45-jährige Dealer auf „Kundenbesuch“ mit frischer Ware. Die Drogenfahndung hatte davon Wind bekommen und mit Unterstützung der uniformierten Kollegen seine Fahrt mit einer umfangreichen Operation „begleitet“.
In Höhe des Artenschutzzentrums in Leiferde sollte die Falle zuschnappen. Ein Team stoppte den Audi, zur Absicherung postierten zwei Beamte einen Golf an der Einmündung Badenbütteler Straße, um die Ortsdurchfahrt zu blockieren.
Doch der Audi-Fahrer gab Gas, verletzte dabei die 26-Jährige und schrottete jenen Polizei-Golf, beschädigte auch den VW Tiguan eines Zivilisten. Die wilde Fahrt endete am anderen Ende des Dorfes, weil auch der Audi so stark beschädigt war, dass es nicht mehr weiter ging.
Sowohl im Auto, als auch bei ihm zuhause fanden die Beamten jede Menge Betäubungsmittel, unter anderem 50 Gramm Kokain, mehr als ein Kilogramm Cannabis, 556 Gramm Amphetamin und ein Glas voller Ecstasy-Pillen.
Für die kinderpornografischen Dateien, die auch ans Tageslicht kamen, verdonnerte ein Schöffengericht in Gifhorn ihn im Januar 2024 schon zu anderthalb Jahren Haft. Allerdings hängt der Fall seitdem im Berufungsverfahren.
Der Angeklagte, umrahmt von gleich zwei Verteidigern, räumt die Vorwürfe ein. Er sei seit 25 Jahren drogenabhängig, was sich inzwischen auch gesundheitlich auswirke: Dreimal pro Woche müsse er zur Dialyse.
Schon mehrfach hat der Angeklagte Bewährung bekommen, stand sogar während der Verfolgungsjagd unter einer solchen. Dennoch sieht die Staatsanwältin eine positive Sozialprognose für den Mann, der immerhin einen festen Arbeitsplatz habe. Sie fordert zwei Jahre Haft, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden, plus eine Geldauflage im Ermessen des Gerichts.
Die beiden Verteidiger schließen sich dem weitgehend an, rechnen die Haft aber auf 22 Monate runter und würden von einer Geldauflage absehen wollen.
Der Nebenklage-Anwalt der Polizeibeamtin kommentiert den Antrag der Staatsanwältin mit: „Man kann es gar nicht fassen.“
Das Schöffengericht muss nicht lange beraten. Es bleibt bei zwei Jahren Haft, die Bewährungszeit setzt es allerdings auf vier Jahre herauf. Die Geldauflage beträgt 3.600 Euro. Außerdem erlegt es dem Angeklagten einen Bewährungshelfer und eine Therapie auf.