Könnte eine Künstliche Intelligenz zur Paarberatung eingesetzt werden? Das wollten Forschende in einer Studie testen. Sie stellten der Künstlichen Intelligenz ChatGPT Fragen zu verschiedenen Szenarien, die im Rahmen einer Paarberatung oder Paartherapie auftauchen könnten. Die gleichen Fragen ließen sie von therapeutisch tätigen Psychologen und Psychologinnen, Familien- und Ehetherapeuten und -therapeutinnen und einem Psychiater beantworten. Anschließend sollten 830 Versuchsteilnehmende Rückmeldung zu den Beziehungstipps geben.
In den meisten Fällen gelang es den Teilnehmenden nicht, die durch ChatGPT generierten Antworten von denen der Therapeuten und Therapeutinnen zu unterscheiden. Sie sollten die Antworten außerdem anhand von fünf Faktoren bewerten. So mussten die Teilnehmenden angeben, wie verständlich und empathisch sie die Antworten fanden, ob sie ihren Erwartungen gerecht wurden und ob es sich um Aussagen handelte, die ein guter Therapeut oder eine gute Therapeutin treffen würde. Außerdem sollten sie angeben, ob die Antworten für Personen mit unterschiedlichem kulturellem Background passend seien. Bei einer Bewertung nach diesen Faktoren schnitten die ChatGPT-Antworten besser ab als die der Therapeuten und Therapeutinnen.
Ein möglicher Grund könnte sein, dass die ChatGPT-Antworten laut Studie mehr positive und weniger negative Gefühle transportierten. Aber bedeutet all das, dass die Antworten der Künstlichen Intelligenz (KI) wirklich „besser“, also im Rahmen einer Paartherapie hilfreicher wären? Und dass ChatGPT therapeutische Fähigkeiten hat?
Lasse Sander, Forschungsgruppenleiter am Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, bezweifelt das. Die Bewertung der Antworten anhand der fünf Faktoren sage „überhaupt nichts darüber aus“, ob die Interaktion mit dem Chatbot im Paartherapie-Setting wirksam sei und zu „relevanten Outcomes“ für die Paare führe, sagte Sander gegenüber dem Science Media Center (SMC).
Zudem ließen sich die Ergebnisse der Studie nicht auf psychotherapeutische Settings übertragen – was in der Veröffentlichung nahegelegt wird. „Paartherapie ist keine Psychotherapie. Psychotherapie hat zum Ziel, Symptome einer psychischen Erkrankung zu reduzieren. Darüber sagt die Studie wirklich gar nichts aus.“
Harald Baumeister leitet die Abteilung für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Ulm. Er ordnet die Ergebnisse des Experiments ebenfalls kritisch ein. Die Studie zeige lediglich, dass eine KI Sätze produzieren kann, die nicht oder kaum von denen von Psychotherapeutinnen und -therapeuten zu unterscheiden seien und dabei „tendenziell als wohlformulierter eingeschätzt werden“. Das sei wenig überraschend. Die Studie liefere aber keinen Wirksamkeitsbeleg für diese Antworten und sei „eher der Beginn und nicht das Ende der Forschung in diesem Feld“.
Ob KI zu anderen Formen der Therapie eingesetzt werden könne, dazu gibt es noch nicht genug Erkenntnisse, findet auch Baumeister. Es brauche Studien zu den Grenzen und Risiken einer Künstlichen Intelligenz bei der Behandlung von psychischen Störungen. Dabei gelte es, die KI und Psychotherapeuten und -therapeutinnen herauszufordern: „Beispielsweise durch die Nutzung von Metaphern, versteckten Hinweisen, bildhafter Sprache oder Ironie“. Zudem müsse erforscht werden, wie Chatbots auf komplizierte Szenarien reagieren, in denen man von einer Eigen- oder Fremdgefährdung durch Patienten und Patientinnen ausgehe. Er habe selbst einmal die Fähigkeiten von ChatGPT getestet, in solchen Situationen Hilfestellung zu geben, und dabei große Gefahren erkannt. Es hätte „eine Person von der Klippe springen lassen, wenn sie ChatGPT gefolgt wäre“, so Baumeister. Auch wenn es möglich sei, dass sich die KI inzwischen weiterentwickelt habe.
Johanna Löchner ist Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. „Die Studie ist interessant und adressiert eine aktuelle Kernfrage: Wie gut sind Chatbots als Therapeuten? Allerdings lässt dich diese Frage nur bedingt mit dem Studiendesign beantworten“, gibt Löchner laut SMC zu bedenken. Es würden hypothetische Paartherapieszenarien untersucht und kein echter Therapieverlauf mit echten Patienten und Patientinnen.
Außerdem sei nicht ermittelt worden, wie gut die KI-Ratschläge tatsächlich wirkten, weil die Teilnehmenden nur die genannten fünf Faktoren bewerten sollten. Der Erfolg der Therapie werde dadurch nicht gemessen. „Dafür fehlt ein Therapie-Outcome, wie zum Beispiel eine Verbesserung der Paarqualität“, so Löchner.
Markus Langer, Leiter der Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, sagte, die Studie sei „kaum aussagekräftig für die Frage, ob KI wirksam in der Psychotherapie sein kann“. „KI-basierte Systeme wie ChatGPT haben das Potenzial, Psychotherapie zu verbessern“, so Langer: „Allerdings sehe ich die aktuellen Potenziale eher in der Unterstützung von Therapeuten im Alltag für beispielsweise administrative Tätigkeiten. Auch kann ich mir KI als verlängerten Arm von Therapeuten und Therapeutinnen gut vorstellen, ein Tool, das Wartezeiten vor und während der Therapie überbrückt, als Ansprechpartner dient, Informationen anbietet – wie Aufklärung zu psychotherapeutischen Themen – und damit Therapie vor- und nachbereitet.“