„Wir haben relativ schnell entschieden, dass wir die Notfallseelsorge anfordern.“ Dennis Grünke, stellvertretender Teamleiter beim Rettungsdienst Brome, kann sich an den tödlichen Unfall auf der Kreisstraße 22 bei Plastau im Herbst 2023 noch gut erinnern. Zwei junge Männer (27 und 33) starben, als ihr Auto gegen einen Baum prallte.
Die vier Kräfte des eigenen Dienstes, das Team des Notarztfahrzeugs und die Feuerwehrkameraden hätten sich nach dem Unfall im Plastauer Gerätehaus zusammengesetzt. Chef Eric Haerting hat für die Zeit seine beiden Rettungswagen weiterhin als im Einsatz deklariert: „Nachbereitung ist ein Bestandteil des Einsatzes.“
„Der hat das sehr professionell gemacht“, sagt Retter Christian Ernst über den Seelsorger damals. Dieser habe sich explizit um die jüngeren Kollegen gekümmert und ihnen erklärt, welche weiteren Möglichkeiten es zur Aufarbeitung gebe.
Grünke hat in 15 Jahren zweimal eine Notfallseelsorge für sich in Anspruch genommen, bei der Berufsfeuerwehr in Braunschweig. Es seien keine akuten Fälle gewesen, es hatte sich einfach im Laufe der Zeit etwas angestaut, was endlich raus musste. Sein Kollege Marco Ludat hatte in 13 Jahren Berufserfahrung ebenfalls zweimal die Notfallseelsorge nötig - einmal konkret, weil er das Suizid-Opfer kannte.
Unfälle oder Notfälle, bei denen Kinder eine Rolle spielen, belasten die Einsatzkräfte besonders. „Auch schwere Verkehrsunfälle, erfolglose Wiederbelebungsversuche, Einsätze mit Brandtoten oder außergewöhnlich belastende Einsatzlagen können die Einsatzkräfte emotional stark beanspruchen“, sagt Madline Daus, Sprecherin des DRK-Kreisverbands Gifhorn, der 180 Beschäftigte im Rettungsdienst hat. „Solche Erlebnisse hinterlassen oft einen bleibenden Eindruck und wirken noch lange nach. Im Bereich des Ehrenamts, insbesondere bei der Wasserwacht, stellen zudem Einsätze mit Wasserleichen eine große psychische Herausforderung dar.“
Haertings Praxisanleiter Christian Ernst, der dreimal die Notfallseelsorge in Anspruch genommen hat, spricht vor allem mit Kollegen über belastende Erlebnisse. Weil diese auf „der gleichen Seite“ stehen. Auch seine Kollegen bestätigen, dass man im Team die erste Ansprechstelle sei. Aus der Teamleitung sei jeder jederzeit ansprechbar für die Kolleginnen und Kollegen. Auch das DRK berichtet davon, dass sich die Retter zunächst „im vertraulichen Rahmen“ mit den Kolleginnen und Kollegen austauschen.
Früher sei es verpönt gewesen, sich Hilfe zu suchen, heißt es in der Runde des Bromer Teams. Das sei Gott sei Dank vorbei. „Die Seelsorge-Arbeit ist von zentraler und unverzichtbarer Bedeutung“, sagt auch Daus im Namen des DRK. „Sie stellt eine essenzielle Säule der psychosozialen Unterstützung dar – insbesondere für Einsatzkräfte, die regelmäßig mit extrem belastenden Situationen konfrontiert sind." Es gehe auch darum, dass die Einsatzkräfte langfristig gesund im Einsatz bleiben können.
Das ICE-Unglück in Eschede habe seinerzeit die Einrichtung der Notfallseelsorge befördert, erinnert sich Eric Haerting, der seinerzeit vor Ort war - nicht direkt am ICE-Wrack, sondern auf Distanz als Koordinator in der Einsatzleitung. „Mit Eschede wurde das Thema akut.“
Ende der 1990er-Jahre initiierte der damalige Pastor Günter Proft aus Brome diese kirchliche Institution auch im Kreis Gifhorn. Heute leitet Renata Pautsch aus Adenbüttel die Notfallseelsorge des Kirchenkreises Gifhorn. Im vorigen Jahr gab es 55 Einsätze für sie und ihre Kolleginnen und Kollegen. Hauptsächlich kümmern sie sich um betroffene Angehörige. Was auch den Einsatzkräften zugute komme, wenn es jemanden vor Ort gebe, der sich um sie kümmere. Um die Profis kümmerten sich inzwischen immer mehr die Institutionen selbst.
Wie der DRK-Kreisverband: Er hat speziell geschulte Teams zur Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV-E). „Ziel ist es, den Beschäftigten und Ehrenamtlichen einen geschützten Rahmen zu bieten, in dem sie belastende Einsätze reflektieren und verarbeiten können“, so Daus. „Diese Supervisionen finden je nach Situation in Einzelgesprächen oder Gruppensettings statt und können bei besonderen Einsatzlagen auch kurzfristig initiiert werden.“