Pilotprojekt im Handwerkerviertel
Quartiersmanagement: Jetzt gibt’s schon einen Verein, der sich um die Gemeinschaft kümmert

Ein Gifhorner Wohnviertel im Aufbruch: Nun hat das Quartier rund ums Handwerkerviertel einen von Bürgerinnen und Bürgern gestalteten Verein. GWG-Chef Andreas Otto, Ulrike Buka und Sener Sapmaz (v.l.) freuen sich über das Erreichte.Foto: Andrea Posselt
Gifhorn. Eigentlich hätten Sener Sapmaz und Hans-Hermann Wagner nicht mehr miteinander zu tun, als dass sie in Gifhorn wohnen. Nun schreiben sie gemeinsam an einer Geschichte, die nicht nur im Landkreis Gifhorn ihresgleichen sucht. Beide sind aktiv im Beirat des Vereins, der sich aktiv für die Quartierentwicklung des etwa 5.500 Bewohnerinnen und Bewohner umfassenden Stadtteils in Gifhorn kümmert.

„Ich muss leider weg. Einem Jungen Schwimmen beibringen. Die Mutter kann sich den Kurs nicht leisten.“ Wagner verabschiedet sich aus der Runde im Treffpunkt der Gifhorner Wohnungsbau-Genossenschaft (GWG) Dannenbüttler Weg. Der Lehrer im Ruhestand ist das Paradebeispiel für das, was Ulrike Buka, Sozialarbeiterin und Diakonin sowie Landkreis-Beschäftigte, im Sinn hatte, als sie mit GWG-Geschäftsführer ­Andreas Otto das Projekt Quartiersmanagement auf den Weg ­brachte.

Ja, rund ums Handwerkerviertel ist viel passiert. Jahrzehnte kennt der Gifhorner Wagner fast jeden Stein. Vieles sei verloren gegangen. Vor allem: „Anlaufstellen, wo sich Leute treffen, gibt es immer weniger.“ Dann begegnete er einem Senior, den er kannte, plauderte mit ihm. Und als der erzählte, dass er im Wohnviertel ausländische Mitbürger beim Deutsch lernen unterstützt, da war Wagner Feuer und Flamme und machte mit. So lernte ­Wagner das im GWG-Treff angesiedelte Quartiersmanagement kennen - und ein neues Sinn stiftendes und freudvolles Ehrenamt. „Meine Frau und ich sind inzwischen schon wie Eltern und Großeltern in einer Familie geworden“, sagt er lachend.

Bei Ulrike Buka blitzen die Augen voller Freude auf. Ganz genau so war ihre Vision, als sie im Quartier anfing. Ein bunter Mix an Spätaussiedlern, Migrantenfamilien und Deutschen lebt hier. „Nein, ganz sicher kein sozialer Brennpunkt“, sagt Andreas Otto entschieden. Aber einer, in dem soziale Distanz und Ängste auf lange Sicht sicher ein Problem werden könnten. Das, was man jetzt ideell und finanziell investiere, erspare Stadt und Landkreis auf lange Sicht erhebliche Folgekosten, ist Otto überzeugt. Als GWG-Geschäftsführer sehe er sich in der Pflicht, über das reine Vermieten hinaus zu wirken. Die Etablierung des GWG-Treffs mit zwei Angestellten vor rund acht Jahren war da das erste Ausrufezeichen. Mit Ulrika Buka jedoch nahm das Thema Zusammenleben im Quartier noch mehr Fahrt auf.

Deren Antrieb: „Einsamkeit ist ein ganz großes Thema. Und aus dieser heraus wachsen Ängste. Wer einsam ist, ist auch anfällig für Populismus. Und genau dagegen möchten wir etwas unternehmen.“ Und zwar nicht, indem einfach fertige Veranstaltungen angeboten werden. Die Menschen im Viertel sollen aktiv werden, das Miteinander lernen.

Sapmaz, der sich bereits an anderer Stelle aktiv für Integration einsetzt, erinnert sich: „Als einmal Frauen mit Kopftuch Flyer für uns verteilt haben, hatten plötzlich einige Angst.“ Angst vor Kulturen jedoch soll im Handwerker- und Blumenviertel niemand mehr haben. Im Gegenteil: Von der Geselligkeit, der Familienzugehörigkeit würden immer mehr Alleinstehende im Viertel profitieren.

In einer der Straßen gebe es schon eine WhatApp-Gruppe, in der Hilfe gesucht und gefunden werde, man etwa Werkzeuge untereinander ausleihe. Je mehr Menschen dabei seien, desto ­lebenswerter und sicherer erscheine das Viertel auch. „Man passt ganz anders aufeinander auch, als wenn man sich gar nicht kennt“, sagt Otto.

Der nächste große Schritt ist getan: Im Juni hat der Quartiersbeirat einen eigenen Verein gegründet. „Das ist in der Form einmalig im Landkreis – und vermutlich weit darüber hinaus“, sagt Ulrike Buka, die nun ehrenamtlich im Vorstand mitarbeitet. Auf das Modellprojekt wurde inzwischen auch die Landesinitiative „Soziale Brennpunkte e.V.“ aufmerksam. Und zu einem Symposium in Nordrhein-Westfalen mit internationaler Beteiligung wurde Buka auch schon eingeladen.

Zu erzählen hat sie schon einiges. Denn: Im Viertel ist es schon längst nicht mehr nur Theorie, was Quartiersmanagement bedeuten kann. Keine Ansagen von oben. Die Menschen im Alltag abholen, sie aktiv an der Gemeinschaft teilhaben lassen, ihre Ideen hören und im Idealfall umsetzen. Klares Zeichen auch: Niemand sitzt einfach zu Bürozeiten im GWG-Treff und wartet ab. Regelmäßig zieht der Beirat mit einem gerade angeschafften Lastenrad los, klingelt an Stationen und lädt Menschen im Viertel ein, zu klönen, sich auszutauschen. Und immer wieder kommen so auch neue Verbesserungen fürs Miteinander ins Spiel. Kaum Treffpunkte im Viertel – warum nicht einfach ungenutzte Freiflächen herrichten? Oder: Wie wär’s zur Verbesserung der Nahversorgung mit einem Nachbarschaftskiosk?

Für solche Ideen hat der Beirat stets ein offenes Ohr. Otto lädt jeden ein, der mit Tat- oder Finanzkraft solche Vorhaben mit umsetzt. Nicht aus Eigennutz, sondern weil er davon überzeugt ist, dass sich dieses Pilotprojekt auf die Fläche ausrollen ließe, niedrigschwellig und auf Augenhöhe aller.

Sie abschotten sich nicht ab mit ihrem Quartier und ihren Projekten. „Hier kann jeder auch außerhalb mitmachen“, sagt Ulrike Buka. Vernetzt ist das Quartier inzwischen mit Schulen, Kitas, Gleichstellungsbeauftragten und vielen anderen Institutionen. Es soll strahlen und auch anderen Orten im Landkreis Mut machen und Ideen geben. Die ersten Schritte sind längst gemacht.

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