Kidical Mass: Eltern haben
eine lange Mängelliste
Sicherheit für radfahrende Kinder – Weitere Aktionen sind bereits geplant

Ein Radweg endet plötzlich: Über diese und andere Stellen im Gifhorner Stadtgebiet ärgern sich Christoph Koenders und Anika Füser. Beide engagieren sich bei Kidical Mass, um sich besonders für kindgerechte, sichere Radwege einzusetzen.Foto: Gero Gerewitz
Gifhorn. Ja, sie fahren gerne mit dem Rad – aber manchmal ist auch eine Portion Wut im Bauch dabei. Vor allem, weil sie als Eltern tagtäglich erleben, wie ihre radelnden Kinder Gefahren auf Gifhorner Straßen ausgesetzt sind. Gefahren, die an einigen Stellen vermeidbar wären. „Man sieht die Welt mit anderen Augen – aus der Perspektive der Kinder“, sagt Christoph Koenders. Und deren Perspektive sei nun einmal größenbedingt eine ganz andere als die der Erwachsenen. Abgesehen davon, seien Jüngere noch nicht so sattelfest und vertraut mit brenzligen Situationen, die ein rasches Reagieren erforderten.

Und dann noch Gifhorn. Koenders lebt mit seiner Familie seit sechs Jahren hier. Er fahre gerne Rad. „Man muss ja nicht ständig ein Auto bewegen, um irgendwo hinzukommen“, sagt er lachend. Ein bisschen Bewegung, ein bisschen Engagement für die Umwelt - alles könnte so einfach sein, ist er überzeugt. „Aber in Gifhorn ist Fahrradfahren echt nicht einfach.“ Für ihn kein Wunder, dass die Stadt im jährlichen ADFC-Klimatest stets bescheidene Noten erhält.

Was den 40-Jährigen stört? An der Ecke Calberlaher Damm/Dannenbütteler Weg fällt ihm gleich eine Menge auf. „Sehen Sie - auf der Seite gibt es einen kombinierten Fuß-/Radweg. Für Kinder ist die gemischte Nutzung gar nicht so einfach.“

Wenige Meter weiter passiert das: Queren die Radfahrer den Dannenbütteler Weg und möchten stadtauswärts entlang des Calberlaher Dammes fahren, endet der Radweg. „Dann heißt es absteigen, über die Ampel.“ „Viel zu kompliziert“, findet auch Anika Füser. Die Mutter aus Gifhorn ist seit gut zwei Jahren bei der Elterninitiative Kidical Mass aktiv. Die Bewegung gibt es weltweit. Sie ist nicht an Parteien gebunden. Die Beteiligten verfolgen ein gemeinsames Ziel: Den Radverkehr insbesondere für Kinder sicherer und besser zu machen - mit Aktionen wie Demofahrten. Eine der Forderungen: Schulstraßen.

Auch in Gifhorn. Schulstraßen wie am Humboldt-Gymnasium - da sind sie realistisch: „Das geht sicher nicht an allen Schulen.“ Aber an der Gebrüder-Grimm-Schule etwa sehen die Vertreter der Kidical Mass eine Möglichkeit, das Gewusel der Elterntaxen zu verbannen. Ein buchstäblich Rotes Tuch für die Eltern: Die neuen rot markierten Radwegflächen etwa am Alten Postweg und der Celler Straße. „Farbe schützt unsere Kinder nicht“, sagt Koenders entschieden. Dass Autofahrende deshalb besser Abstand halten, bezweifelt auch Anika Füser.Aber mehr Tempo-30-Zonen könnten etwas mehr Sicherheit bringen, meint Koenders. Auf jeden Fall finden er und Anika Füser, dass in Gifhorn noch gewaltig Luft nach oben ist, was Radwege im Allgemeinen und die Sicherheit der Kinder im Besonderen angehe. „Schade, schade, dass wir aktuell sogar keinen festen Ansprechpartner mehr in der Verwaltung haben“, sagt Anika Füser.

Ihre Botschaft ist auch: Es gehe ums Miteinander aller Verkehrsteilnehmer. Was für sie auch bedeutet, das Fehlverhalten Radfahrender zu kritisieren. „Geisterradeln ist gefährlich“, sagt Koenders entschieden.

Ein Blick in die letzte Unfallstatistik in Gifhorn zeigt: Seit 2017 ging die Zahl der Unfälle mit Fahrrädern stetig nach oben, von 90 auf zuletzt 131 in 2023. Zuletzt gab es einen kleinen Abwärtstrend. Aber eben auch einen klaren Trend, wer am meisten gefährdet ist: 27 Prozent der schwer verletzten Radler sind 75 bis 84 Jahre alt. 28 Prozent sind sechs bis 14 Jahre alt.

Gute Gründe, dass die Vertreter der Gifhorner Kidical Mass noch einiges zu tun haben. Bei der ersten Raddemo im Mai seien es rund 90 große und kleine Mitradler gewesen. Und eine Fahrradschulbus-Tour gab es auch schon. Wer das verpasst hat und sich für eine Verbesserung für junge Radfahrende einsetzen möchte, hat 2025 noch einmal die Chance. Eine Kidical Mass ist für 27. September geplant. Einige Tage zuvor steigt der Fahrradschulbus, eine von Erwachsenen abgesicherte Strecke in Gifhorn wird an diesem Tag absolviert. Sie wollen sichtbar bleiben – zum Schutz ihrer radfahrenden Kinder.
Druckansicht