Auf zwei und vier Beinen zur Vermisstensuche unterwegs
Jörg Flögel und Stephanie Siebert gründeten Gifhorner Rettungshundestaffel

Die Rettungshundestaffel Gifhorner Land trainiert zwei- bis dreimal die Woche.Fotos: Sebastian Preuß
Wesendorf. Völlig nervös wedelt der kleine braun-weiße Australian-Shepherd Yoda mit dem Schwanz. Kaum hat sein Frauchen ihre Rettungsweste angezogen, zieht der Hund schon aufgeregt an der Leine, um im nächsten Augenblick die Fährte abzunehmen. Dabei hat Mantrailer-Hund nur ein einziges Ziel: eine vermisste Person zu finden. Denn genau darauf wurde und wird er monatelang trainiert. Und so werden seine Schritte plötzlich schneller, sein Schnaufen immer lauter. „Gerade bei suizidgefährdeten Menschen und Demenzkranken zählt jede Sekunde“, weiß Jörg Flögel, der die Staffel, die bei der Vermisstensuche in der Region helfen will, mit gegründet hat. Doch das ist für Yoda kein Problem: Schon an er nächsten Ecke spürt der Hund die Frau, die in diesem Fall als „Lockvogel“ gilt und sich einfach nur versteckt hat, auf.

Ende April gründete sich die Rettungshundestaffel Gifhorner Land, auch Mantrailing genannt. Seitdem sind fünf aktive Hund-Mensch-Teams sowie zwei passive Mitglieder Teil der Gruppe, die Leben retten will. Aktuell steht jedoch noch die polizeiliche Sichtung für die offizielle Anerkennung des Vereins aus.

Bis dahin trainieren die Mitglieder der Gifhorner Rettungshundestaffel zwei bis drei Mal die Woche. Dafür suchen sich die beiden Vorsitzenden, Jörg Flögel und Stephanie Siebert, immer wieder unterschiedliche Trainingsorte aus, so beispielsweise Schulen oder Altenheime. Überall werden dann Personen versteckt, die die Hunde anhand der Geruchsspuren aufspüren müssen. „Die Gerüche unterscheiden sich nicht nur bei den Menschen, sondern auch je nach Umgebung“, begründet Siebert. Für den Ernstfall müssen sich die Vierbeiner auf jeden Einzelfall vorbereitet sein. Denn die Hunde verlassen sich bei der Suche nach vermissten Personen voll und ganz auf ihre Nase.

„Jeder Mensch verliert mikroskopisch kleine Hautschuppen, die sich auf dem Boden verteilen und für den Hund wie ein roter Faden sind, wenn er auf der Suche ist“, beschreibt Flögel. Die Aufgabe der Mantrailer-Hunde sei es, dieser Spur zu folgen. Die Herausforderung dabei: Durch den Wind sowie andere Umwelteinflüsse verteilen sich die Schuppen überall. Die Kunst sei es dann, den Hund dazu zu bringen, dass er „dranbleibt”, die Spur konsequent verfolgt. Im Training reibe sich dafür die Person, die sich vor dem „Spürhund“ versteckt, mit einem Taschentuch über das Gesicht, damit der Hund die Fährte aufnehmen kann. Für reale Einsätze würden in der Regel Kleidungsstücke oder Zahnbürsten der Person verwendet.

Bevor die Teams jedoch an realen Polizei-Einsätzen mitwirken dürfen, müssen Mensch und Tier eine Ausbildung absolvieren, dem ein Eignungstest vorsteht. Die Ausbildung dauert zwei bis drei Jahre, in denen die Mitglieder unterschiedliche Untergründe, Riechszenarien sowie Umwelteinflüsse trainieren. Danach steht eine Vereinsprüfung an, bei der jedes Team einer rund ein Kilometer langen Spur bis zur Zielperson folgt. Der letzte Schritt sei ein 24-Stunden-Trail bei der Polizei im niedersächsischen Ahrbergen.

Um den Einsätzen gewachsen zu sein, bedürfen Mensch und Tier einer gewissen körperlichen Fitness. Eine aufgeschlossene und freundliche Art des Hundes erleichtere zudem die Zusammenarbeit mit den anderen Hunden der Staffel. Besonders gut würden sich für das Mantrailing beispielsweise Bayerische Gebirgsschweißhunde oder Kleine Münsterländer eignen. „Für die Hunde ist ein Leckerli nach jeder Trainingseinheit als Motivation ganz wichtig“, betont Flögel.

Zumal sie ständig in Bewegung sind, Neues entdecken, aufspüren sowie „Frauchen“ und „Herrchen“ stolz überbringen wollen. Aber auch die Hundeführer sind voller Leidenschaft dabei: „Es ist für mich eine Herzensangelegenheit und natürlich eine besondere Herausforderung, über Mantrailing Menschenleben zu retten“, sagt die 39-jährige Stephanie Siebert, die nahezu täglich mit ihrem Mini-Australian-Shepard Yoda trainiert. Ähnlich sieht es Jörg Flögel, der mit Hündin Brezza auf „Schnüffeltour“ geht. „Die Rettungshundestaffel ist außerdem ein toller Ausgleich zu meinem Bürojob.“

Vor der Gründung des Gifhorner Vereins war Jörg Flögel Mitglied einer Wolfsburger Hundestaffel. Dort nahm er bereits an zahlreichen Vermisstensuchen teil. „Im Jahr gibt es meist so zwischen 50 bis 80 Einsätze in der Region“, berichtet er. Das bestätigt auch Siebert, die bereits seit knapp 17 Jahren im Bereich Mantrailing aktiv ist und schon zahlreiche erfolgreiche Suchen abgeschlossen und miterlebt hat.

„Die Angehörigen haben vor Freude geweint, als einer der Hunde einen älteren vermissten Herrn lebend an einer Hecke liegend fand“, erzählt sie mit strahlenden Augen. „Am schönsten ist es immer, wenn Eltern ihre Kinder wieder in die Arme schließen können“, weiß Flögel, der sich nur allzu gut an eine Jugendliche erinnert, die mit ihrem Freund durchgebrannt war. Einer der Rettungshunde bemerkte bei der Suche, dass die Spur des Mädchens an einer Bushaltestelle endete. Durch die Aufnahmen der Überwachungskameras fand die Polizei den Teenager schließlich zwei Tage später.

Wobei nicht jede Spur auch erfolgreich ende. „Es ist immer auch ein Wettlauf gegen die Zeit“, macht es Siebert deutlich. „Ich weiß noch, dass ein älterer Pilzsammler nur noch tot aufgespürt werden konnte.“ Das sei für die Angehörigen sehr schwer gewesen und habe auch die Helfer emotional sehr berührt. Aber Siebert betont: „Manchmal ist das Erfüllende an dieser Aufgabe auch, den Familien Gewissheit geben zu können.“

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