Jürgen Schmidt, geboren 1954 im Kreis Peine, war 1992 nicht einmal eine Woche Kripo-Chef in Gifhorn, da hatte er schon den ersten Mordfall auf dem Tisch. Eine 16-Jährige aus Flettmar vermisst: Schmidt und seine Leute haben gleich das große Besteck aufgefahren - und den Täter fast am selben Tag gefasst. Den Leichnam des Mädchens fanden sie im Elbeseitenkanal - an der Stelle, wo sieben Jahre später der Torso von Ruth Buchelt gefunden werden sollte.
Es waren medienträchtige Fälle zu Schmidts Zeiten in Gifhorn, die auch die Polizei-Berichterstattung der nun 175 Jahre alten AZ prägten. Im Rampenlicht stehen und Fragen der Reporter beantworten: „Es war Teil der Aufgabe.“ Und lag dem Mann mit dem eleganten Zwirbelbart, den er heute noch immer so trägt, durchaus - ob beim Torso-Mord 1999 oder beim Dreifach-Mord im Kleingarten 2008. Die Zusammenarbeit mit den Medien sei - entgegen vielen klischeebehafteten Darstellungen in Fernsehkrimis - immer sehr vertrauensvoll und respektvoll gewesen.
Schmidt taucht ein in Erinnerungen. Dazwischen gab es unter anderem noch zwei Doppelmorde. Und: Da war diese brutale Tat in der Limbergstraße, das tote Baby am Waller See. Eine Zahl kann er nicht nennen, wie viele Morde es in den fast 25 Jahren gegeben hat. War jener im März 2009 in der Bergstraße der letzte „echte“ Mordfall bislang? Schmidt ist sich da nicht sicher.
Bei der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden hat die AZ erfahren, dass der landläufige Eindruck, es werde immer schlimmer mit der Kriminalität, nicht zutrifft. Die Flut an Nachrichten und vermeintlichen Nachrichten über Medien und soziale Medien, denen die Menschen heutzutage kaum noch aus dem Weg gehen könnten, vermittele ihnen diesen trügerischen Eindruck. In den 1990er- und 2000er-Jahren sei es jedoch krimineller gewesen.
Das bestätigt Schmidt im Gespräch mit der AZ. „Wir hatten hier in Gifhorn Phasen, wo es richtig schlimm war.“ Auch die Zahl der Einbrüche sei damals viel höher gewesen. Sicher, jetzt gebe es viel Kriminalität im Internet und drumherum, was es dafür früher nicht gab. Aber er widerspricht seinen im Dienst befindlichen Kollegen nicht, dass der Landkreis Gifhorn auch heute noch sehr sicher ist. Laut Kriminalstatistik gab es 2024 hier 4.262 Straftaten pro 100.000 Einwohner, niedersachsenweit waren es 6.485.
„Es fehlen drei Monate an 25 Jahren Kripo-Chef“, sagt Schmidt. 2016 ging er in den Ruhestand. Doch ganz ohne Kriminelle, Kameras und Kommentare läuft es seitdem nicht. Schmidt blieb bei vielen Medienschaffenden in Erinnerung. In True-Crime-Formaten trat er als Experte auf und kommentierte fremde Fälle, auch aus den USA. Das sei aber schon Jahre her. Doch noch heute bekomme er Anfragen zu „seinen“ Gifhorner Fällen.
Ob ZDF, Spiegel TV oder Podcast-Teams: „Es ist nicht so, dass ich auf sie zugegangen bin. Die Redaktionen sind auf mich zugekommen.“ Im Herbst ist Schmidt beim Live-Podcast des Hillerser Kulturvereins zu Gast. „Ich weiß noch nicht, welchen Fall wir da besprechen.“
Den Folgen der anhaltenden Medienpräsenz kann er zuweilen auch mit Fernreisen nicht entkommen, wie Ehefrau Kerstin erzählt. Im Urlaub in Südafrika neulich sind deutsche Touristen im Hotel an sie herangetreten. Die Podcast-Fans hatten Schmidts Stimme wiedererkannt.
Reisen, der Garten und die sieben Enkel im Alter von neun Monaten bis neun Jahren sind nun die wichtigsten Fälle des Ex-Kripo-Chefs aus Hillerse. „Das macht viel Spaß.“ Würde er noch einmal zur Polizei gehen? „Schwere Frage“, sagt er und überlegt. Rückhalt und Respekt in der Bevölkerung seien nicht mehr so wie früher, hat er erfahren. „Ich glaube nicht“, sagt er schließlich und ist froh: „Die Entscheidung habe ich nicht zu treffen.“