Der in Rede stehende Vorfall ereignete sich am 2. Januar vormittags in einer Praxis im Landkreis Gifhorn. Laut Anklage hatte der Angeklagte gegen Ende der 60-minütigen Behandlung, während der die Frau mit nacktem Oberkörper zunächst auf dem Bauch und dann auf dem Rücken auf einer Liege gelegen, diese sexuell genötigt. In dieser Position habe der Behandelnde sich über die Frau gebeugt und über beide Brustwarzen geleckt.
Die Frau sei erschrocken, weil sie nicht geglaubt habe, dass so etwas geschehen könne. Der Angeklagte habe das „Überraschungsmoment ausgenutzt” bei der entspannt und mit geschlossenen Augen daliegenden Frau, so die Anklage. Der Angeklagte, der eine Verteidigerin an seiner Seite hatte, verlas im Anschluss an die Verlesung der Anklage daselbst ein beidseitig handschriftlich beschriebenes Din-A4-Papier in dem Bemühen, sich durch fachliche Erwägungen für sein Tun zu rechtfertigen, das er indes nicht abstritt.
Allerdings relativierte er es: Er habe nicht über die Brustwarzen geleckt, sondern sie - nur - mit seinen Lippen berührt. Der menschliche Körper habe aus professioneller Sicht insgesamt neun Drüsen, die aktiviert werden müssten, um die Selbstheilung zu befördern. Und im vorliegenden Fall im Speziellen, um „ihre Weiblichkeit”, aber auch Selbstdisziplin zu wecken. Es gebe nur Yin und Yang. Erklärt habe er der Patientin bei seiner Aktion an ihren Brüsten, dass „ihr Mann oder Freund“ das Zuhause mit ihr machen sollte.
Besagte Frau, die „ein sensibles Lebewesen“ sei, habe ihm aber wohl nicht zugehört. Nach Verlesen der Vorderseite seines Manuskripts jedoch unterbrach der Richter den Angeklagten mit der für das Verfahren entscheidenden Frage: „Haben Sie ihr vorher gesagt, dass Sie sie berühren werden?“ Wenn nicht, sei der Tatbestand eines „sexuellen Übergriffs“ erfüllt. Denn: Die erfolgte Behandlungsmethode sei unüblich und daher von der Frau nicht erwartbar gewesen. Ja, räumte der Behandler ein, er habe es „verpasst, zu fragen”.
Der Richter seinerseits erklärte dem nach eigenen Angaben etwas schwerhörigen Mann, dass also „die strafrechtlichen Grundsätze“ nicht in Einklang gebracht werden könnten mit „taoistischen Behandlungsmethoden“. Der Angeklagte hinwiederum betonte, dass das Berühren der Brustwarzen „nichts Sexuelles“ gewesen sei. Die Tatsache, dass der Angeklagte eingeräumt hatte, nicht gefragt zu haben, werteten die Vertreterin der Staatsanwaltschaft wie auch der Richter als „Geständnis“ - und damit standen mildernden Umstand bei der Frage der Strafzumessung im Raum.
Denn das erspare der Frau, im Zeugenstand „diese Momente noch einmal zu durchleben“. Und in der Tat: Als die Frau vom Richter das Formular zur Erstattung von Fahrtkosten oder Verdienstausfall entgegennahm und dabei auch am Angeklagten vorbeigehen musste, kämpfte sie augenscheinlich mit den Tränen. In ihrem Plädoyer erklärte die Anklagevertreterin, der Beschuldigte hätte von jenem Teil der Behandlung „einfach erzählen können, ohne sie zu verwirklichen“. Das sah der Richter wohl auch so und erklärte: „Jeder behandelt anders, aber es gibt Grenzen.“ Ein „Berufsverbot“, wie der Angeklagte zunächst fälschlicherweise verstanden hatte, gab es nicht. Aber die zusätzliche Auflage, 2.500 Euro an die Landeskasse zu zahlen.