Alkohol ist größtes Drogenproblem, Schmerzmittel sind auf dem Vormarsch
Sucht- und Drogenberatung Speicherhof stellt Jahresbericht 2024 vor

Suchtberatung: Alkoholmissbrauch ist auch im Landkreis Gifhorn immer noch das größte Drogenproblem.Foto: Robert Michael
Gifhorn. Der Bedarf an Beratung ist in Gifhorn deutlich größer als das Angebot, Alkoholmissbrauch ist immer noch das größte Drogenproblem und mittlerweile riecht es schon auf den Grundschultoiletten nach Kiwi und Wassermelone, weil die Zehnjährigen dort „vapen“. Das und anderes mehr wurde bei der Vorstellung des Jahresberichts 2024 der Sucht- und Drogenberatung im Speicherhof bekannt.

211 Klienten und insgesamt 1617 Gespräche hatte die von der Venito Diakonischen Dachgesellschaft betriebene Beratungseinrichtung: „Mehr als die Hälfte der Betroffenen kam wegen einer Alkoholproblematik in die Beratung“, erklärte Teamleiter Sven Hülsen. Am zweithäufigsten war Cannabis im Spiel, das er für „eine sehr gefährliche Droge“ hält, die, je jünger Konsumenten sind, die kognitive Entwicklung beeinträchtige. Angestiegen seien die Anzahl der Beratungen seit der Legalisierung von „Gras“ allerdings nicht.

Bei der Beratungs-Häufigkeit folgten Opioide sowie (mit Abstand) Kokain, Amphetamin, Beruhigungsmittel und der Mischkonsum von unterschiedlichen Substanzen. Hülsen schätzt, dass lediglich zehn Prozent der Abhängigen durch Beratungsangebote erreicht werden. Wieder nicht gelungen sei es der Einrichtung, Opiatabhängige in der Substitutionstherapie, in der Abhängige mit Ersatzstoffen behandelt werden, zu erreichen. Verantwortlich dafür sei die Tatsache, dass die Beratung nicht mehr verpflichtend, sondern freiwillig für den Patienten sei.

Weitere Ratsuchende kamen wegen einer Glücksspielproblematik (5) und Medienabhängigkeit (3). Letztere sei im Erwachsenenalter meist kein Thema, Kinder und Jugendliche seien diesbezüglich besser in einer Erziehungs- als in einer Suchtberatung aufgehoben, so Hülsen. Bei den illegalen Drogen seien opiathaltige Medikamente (Schmerzmittel) eindeutig auf dem Vormarsch. Von Medikamentensucht, die auch weiße Sucht genannt wird, seien früher ausschließlich Frauen betroffen gewesen.

Das ist nicht mehr so. „Besonders verbreitet ist es bei jungen Erwachsenen und Jugendlichen. Die wissen gar nicht, was sie da alles durcheinander einwerfen“, betonte der Experte auch mit Blick auf die Medizin. Manche Ärzte verhielten sich beim Thema Verschreibungen schlichtweg „fahrlässig“. Das erleichtere den Konsum und Abhängigen die Erreichbarkeit der verschreibungspflichtigen Medikamente.

Anders als bei anderen Suchtmitteln seien die davon Abhängigen quasi „nicht sichtbar im Stadtbild“. Auch seien an die Stelle von Heroin, das weniger konsumiert werde, besagte Schmerzmittel mit synthetischen Opioiden getreten. Diese stellten zunehmend eine große Gefährdung dar: „Weil sie immer potenter werden, viele Konsumenten vertun sich da“, hob Hülsen hervor. 2023 sei beispielsweise ein junger Mann im Landkreis Gifhorn nach dem Konsum solcher Medikamente gestorben.

Bekannt sei auch, dass Sucht nicht vor Standes- oder anderen Grenzen Halt mache: „Sie kann jeden treffen“, so Hülsen. Die Hilfesuchenden kämen keineswegs immer aus der „sogenannten Gosse“, die Beratungsstelle suchten auch Ärzte, Lehrer und Polizisten auf. Zugenommen hat nach Hülsens Einschätzung der Kokainkonsum auch im Landkreis Gifhorn. Vom Ansehen und von der Einschätzung der Gefährlichkeit stand es einst noch mit Heroin auf einer Stufe: „Diese Hemmschwelle ist deutlich gesunken. Heute gehört es oft einfach dazu.“

So wie die Einnahme von Amphetaminen zum Durchhalten der Nachtschicht - oder mittlerweile das „Vapen“ in manchen Grundschulen. Deswegen würden auch dort bereits Sucht- und Drogenberatungen stattfinden - nicht durch venito, aber durch das Gesundheitsamt des Landkreises. Für Thomas Kolodziej, Psychotherapeut bei venito, ist die Einstiegsdroge schlechthin denn auch „Nikotin“. Die Horrordroge Crack ist laut Sven Hülsen in Gifhorn nicht so verbreitet: „Wer welches haben will, muss bis in andere größere Städte fahren.“ Dort sei sie wesentlich verbreiteter als Gifhorn.

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