Gifhorner Serge Tah erzählt
seine bewegende Flüchtlingsgeschichte
Zehn Jahre nach der Flüchtlingswelle 2015 – Das ist aus Merkels „Wir schaffen das“ geworden

„Wir schaffen das“: Vor zehn Jahren sagte Angela Merkel diesen Satz. Damals kam Serge Tah nach Deutschland – und er sagt, was heute von diesem Satz geblieben ist.Foto: Thorsten Behrens
Gifhorn. „Wir schaffen das!“: Dieser Satz der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vom 31. August 2015 sollte die Menschen in Deutschland darauf einstimmen, gemeinsam die Flüchtlingswelle zu bewältigen. Zehn Jahre sind seither vergangen. Was ist geblieben von Merkels Satz? Haben „wir“ es wirklich geschafft?

„Ja!“, sagt Serge Tah. Der Ivorer kam 2015 im Zuge der großen Flüchtlingswelle nach Deutschland. Seine Geschichte steht stellvertretend für viele ähnliche Geschichten von Geflüchteten. Allerdings steht sein „Ja“ nicht ausschließlich. Aber dazu später mehr.

Bürgerkrieg in der westafrikanischen Republik Côte d‘Ivoire: Serge Tah und sein Vater bitten UN-Soldaten um Schutz für ihr Dorf gegen Milizen. Doch genau diese Milizen gewinnen später die Oberhand, die Namen der beiden Männer kommen auf eine Liste, erzählt Tah. „Mein Leben war bedroht. Mein Vater wurde gefangen genommen und gefoltert.“ Er selbst flüchtete, gewarnt von einem Freund.

Türkei, dann mit dem Schlauchboot nach Griechenland, die Balkan-Route - insgesamt sechs Monate Flucht. Schließlich landet Serge Tah in München. „Ich wollte weiter nach Frankreich, weil ich Französisch spreche. Aber in München habe ich mich mit einem Polizisten auf Englisch unterhalten. Der sagte mir, Deutschland brauche Leute wie mich.“ Denn Serge Tah brachte einen Master in Erziehungswissenschaften aus der Heimat mit. Und er blieb in Deutschland.

Nach zwei Wochen in Braunschweig kam er ins Camp Ehra-Lessien. „Das war schwierig. Ich hatte zum Beispiel keinen Anspruch auf einen Deutschkurs.“ Aber er wusste, dass die Sprache der Schlüssel für eine gelungene Integration ist, erzählt er. „Ich hatte damals 280 Euro Sozialhilfe im Monat. Von einem Teil habe ich meinen Deutschkurs selbst bezahlt und ein Jahr später den B1-Abschluss gemacht“, sagt er.

Doch wie sollte es weitergehen? „Ich habe eine Ausbildung in der Pflege begonnen. Aber während der Ausbildung kam dann ein Abschiebebrief, das habe ich nicht verstanden.“ Menschen, die einen Beruf erlernen, in dem Fachkräftemangel herrscht, wieder abschieben? „Ich habe dann gehört, dass der damalige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auf Sommertour war. Das war im Juli 2018. Ich bin hingefahren und habe ihm gesagt, dass ich Angst vor seinem Kollegen Horst Seehofer habe, dem damaligen Innenminister.“

Aber Serge Tah konnte geholfen werden. Im Juli 2019 schloss er seine Ausbildung ab. Zwischenzeitlich lief die Prüfung, ob sein Master der Erziehungswissenschaften aus der Côte d‘Ivoire in Deutschland anerkannt werden könnte. Fehlanzeige. Anerkannt wurde nach vier Jahren Prüfung nur ein Bachelor-Abschluss.

Aber mit dem konnte Serge Tah jetzt endlich in seinem alten Beruf arbeiten. Er wurde im Dezember 2021 Schulsozialarbeiter an der BBS I in Gifhorn. „Ich war sehr integriert. Und ich habe die Stabstelle Integration des Landkreises ehrenamtlich unterstützt“, sagt der Ivorer. Allerdings war sein Arbeitsvertrag befristet, und damit auch seine Aufenthaltserlaubnis.

Doch Serge Tah ließ nicht locker. Er bewarb sich auf unbefristete Stellen, denn ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ist Voraussetzung für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Tah bekam eine solche Stelle im Februar 2025 beim Landkreis Gifhorn, ebenfalls als Sozialarbeiter. Inzwischen läuft sein Antrag auf Einbürgerung. „Ich hoffe, das klappt kommendes Jahr“, sagt er.

Inzwischen hat der Ivorer seine Familie nachgeholt. Ein Sohn geht noch zur Schule, ein weiterer sowie die Tochter absolvieren derzeit Ausbildungen in der Pflege. Die Ehefrau arbeitet in einer Kindertagesstätte. Gifhorn ist inzwischen sein Zuhause. „In der Republik Côte d‘Ivoire habe ich keine Zukunft mehr.“

„Ja, ich habe es geschafft. Und für mich ist es ein großer Erfolg, von null dahin gekommen zu sein, wo ich heute bin.“ Das verdanke er auch vielen Menschen in Gifhorn, die ihm dabei geholfen haben. „Ich habe viel dafür getan, aber ich habe es nicht allein geschafft.“

Da ist es wieder, dieses „Wir schaffen das“. Deutschland hat es geschafft, sagt Tah. „Es wurden Hunderttausende Migranten in den Arbeitsmarkt integriert in den vergangenen zehn Jahren. Die meisten wurden auch in die Gesellschaft integriert, haben sich selbst integriert.“

Etwas davon, was er in Gifhorn erlebt hat, will er zurückgeben. Serge Tah hat viel mit anderen Migranten zu tun. „Ich gebe ihnen Tipps für den Alltag. Aber ich mag nicht, wenn sie schlecht über Deutschland reden. Das sage ich ihnen dann auch.“ Denn was Deutschland geleistet habe, sei unvergleichlich.

„Aber ich glaube auch, dass Deutschland derzeit am Limit steht. Noch so eine Flüchtlingswelle kann das Land nicht verkraften. Dafür hat sich die Gesellschaft zu sehr geändert.“ Eine Entwicklung, die auch Thema in der Familie ist. „Diese neue Stimmung mit Worten wie Re-Migration macht uns Sorgen.“

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