Wenn aus Liebe Gewalt wird
Der Beratungsbedarf ist deutlich gestiegen – die Ausstellung „HerzSchlag“
ist noch bis zum 27. November im Amtsgericht Gifhorn zu sehen

Die Dunkelziffer für Gewaltfälle in der Beziehung ist hoch. Die neue Ausstellung soll für dieses Thema sensibilisieren.Foto: Jonas Walzberg
Gifhorn. Meist beginnt es schleichend - oft gibt es erste Übergriffe, lange bevor der erste Schlag fällt. Ständige Nachrichten, Kontrolle über jeden Schritt oder negative Beeinflussung sozialer Kontakte: Damit es gar nicht erst zu einer solchen „Gewaltspirale“ in Partnerschaften kommt, wollen Polizei, Landkreis und Amtsgericht Gifhorn Jugendliche derzeit gezielt informieren.

Dr. Melanie Kieler, Leiterin des Gifhorner Amtsgerichts, liegt das Thema am Herzen: „Wir müssen das Thema Gewalt in die Öffentlichkeit bringen. Anonymität bedeutet nämlich Schutz für die Täter.“ Gewalt in einer Beziehung sei ein schleichender Prozess. „Dabei geht es in Partnerschaften darum, Meinung, Entscheidungen und Lebensweise der anderen Person zu respektieren“, betonte Kieler. „Der Einsatz von Gewalt ist ein klares Zeichen dafür, dass dieser Respekt fehlt.“

Wobei Gewalt nicht erst bei körperlicher Gewalt beginne. „Die sieht man. Und auch die Folgen physischer Gewalt sind äußerlich zu erkennen“, sagt Kieler. Das sei bei psychischer Gewalt anders. „Und während die Wunden aus körperlicher Gewalt meist schnell heilen, dauert das bei psychischer Gewalt wesentlich länger.“ Eine große Schwierigkeit bei diesem Thema sei es, überhaupt erst an die Betroffenen heranzukommen und sie dazu zu bringen, über die Gewalt zu reden. „Schweigen wird von Tätern als duldende Zustimmung verstanden“, ist Kieler überzeugt. Bis das Opfer begreife, was eigentlich passiert, stecke es meist bereits „tief in der Spirale“, ein Weg heraus sei schwierig.

Wann besteht für Menschen besondere Gefahr? „Genau dann, wenn wir noch keine entsprechende Erfahrung gesammelt haben“, führt Kieler aus. Erste grenzverletzende Erfahrungen sind ein Schwerpunkt der Ausstellung „HerzSchlag“. Sie ist kostenlos und noch bis zum 27. November im Amtsgericht Gifhorn zu sehen.

Als Liane Jäger vom Präventionsteam der Polizei Gifhorn und vom Netzwerk gegen häusliche und sexualisierte Gewalt von dieser Wanderausstellung erfuhr, brauchte sie nicht lange zu überlegen. Gleichstellungsbeauftragte Verena Maibaum und Andrea Kieler konnte sie umgehend dafür begeistern. „Das Amtsgericht eignet sich als Ausstellungsort sehr gut, müssen wir uns hier doch leider öfter mit dieser Thematik beschäftigen“, erklärte Dr. Kieler.

Maibaum betonte: „Solange es Gewalt gegenüber Mädchen, Frauen und queeren Menschen gibt, kann es keine Gleichstellung geben.“ Oft werde diese Gewalt kleingeredet und trivialisiert. „Dabei handelt es sich um ein strukturelles Problem“, betonte Maibaum. „Wir müssen weg von der Frage ‚Warum hat sie ihn nicht verlassen?‘ und hin zu ‚Warum hat er nicht aufgehört?‘." In der Praxis bedeute dies unter anderem, Täterprogramme zu stärken. „Wir müssen die Gewalt sichtbar machen, die Opfer stärken und die Täter zur Verantwortung ziehen“, hob Maibaum hervor.

In einem so riesigen Landkreis sei es nicht einfach, flächendeckend über ein so sensibles Thema zu informieren. „Gerade deswegen bin ich sehr dankbar über die Kooperation mit den Landfrauen, die diese Botschaft über Infostände in die Fläche tragen“, sagte Maibaum.

Jäger gab Details zur Ausstellung bekannt: „Sie wurde vom Landeskriminalamt als Wanderausstellung konzipiert und richtet sich mit dem Schwerpunkt Teen Dating Violence an Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 9 bis 13.“ Entsprechend werde auch über moderne Phänomene wie Lovebombing und Gaslighting informiert, ebenso über Übergriffe wie Upskirting (einer Frau wird von unten unter den Rock fotografiert) oder Downblousing (einer Frau wird von oben ins Dekolleté fotografiert). „Ein großes Problem ist heute auch der Porno-Konsum”, erklärt Jäger. Er führe oft zu einem verzerrten Frauenbild oder zu einer Objektifizierung. Generell könne man in der Gesellschaft eine Desensibilisierung in Sachen Gewalt beobachten.

An den zehn Messeständen der Ausstellung sind QR-Codes angebracht, die zu weiterreichenden Informationen auf der Internetseite der Ausstellung führen. 15 Schulklassen hätten sich schon für die neuntägige Ausstellung angemeldet. „Vorher gibt es eine vierstündige Unterrichtseinheit, denn in der Ausstellung geht es auch um Triggerinhalte.“

Konkrete Zahlen über Gewalt in Partnerschaften sind schwierig zu ermitteln. Nicht nur sei die Dunkelziffer hoch, die Gewalt in einer Beziehung könne auch unter mehrere Tatbestände fallen, wie Kieler erklärt. Auch polizeilich sei eine solche Zahl laut Liane Jäger kaum zu erfassen. „Der Begriff der häuslichen Gewalt beinhaltet nämlich nicht nur Gewalt zwischen Partnern, sondern auch Gewalt in der Pflege oder gegenüber Kindern.“

Eines könne sie aber mit Bestimmtheit sagen: „Partnergewalt ist männlich.“ In rund 80 Prozent der Fälle gehe die Gewalt vom Mann aus. „Und unter den anderen 20 Prozent sind auch noch Fälle, in denen sich Frauen lediglich selbst verteidigt oder versucht hatten, sich mit Gewalteinsatz gegen die andauernde Kontrolle durch einen Mann zur Wehr zu setzen.“

Bei der Beratungs- und Interventionsstelle (BISS) des Caritasverbandes Gifhorn sei der Bedarf an Beratungen deutlich angestiegen. „Corona war der Türöffner“, sagte Kieler. „Die Pandemie ist gegangen, die Gewalt aber geblieben.“

Eine Umfrage der Menschenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ habe deutliche Ergebnisse geliefert: Jeweils 1.000 Männer und Frauen seien unter anderem zu Konflikten und Gewalt befragt worden. „Ein Drittel der Männer fand Gewalteinsatz in einer Beziehung akzeptabel, 34 Prozent haben selbst bereits Gewalt in einer Beziehung eingesetzt“, berichtete Jäger.

Verena Maibaum erklärte, dass das unterschiedliche Rollenverständnis beim Besuch einer Schulklasse sehr deutlich geworden sei: „Beim Selbstreflektionsspiel ‚Red Flag, Green Flag‘ haben die Schüler Szenen von Gewalt oft ganz anders bewertet als die Schülerinnen.„ Das habe deutlich gemacht, dass das Empfinden, ob ein Fall übergriffig ist oder nicht, oft sehr weit auseinander liegt. Und das spiegele sich auch in den zahlreichen Gewaltfällen wider. die sich in Beziehungen ereigneten.

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