„Gedenken und Respekt für die Opfer“ steht auf einem der niedergelegten Blumenkränze geschrieben. Dunkel gekleidete Menschen stehen andächtig vor dem Gedenkstein am Mahnmal des Eingangs zwei in der Südstraße des VW-Werks in Wolfsburg. Eine kurze Schweigeminute legen die Teilnehmenden ein. Unter ihnen sind die Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, der niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, Falko Mohrs, die CDU-Landtagsabgeordnete Cindy Lutz und der frühere Oberbürgermeister Rolf Schnellecke.
„Selten war es so wichtig wie heute, darauf zu achten, dass sich die Geschichte nicht wiederholt“, mahnte Dieter Landenberger, Leiter des Bereichs „Historische Kommunikation“ bei VW, im Forum des Konzernarchivs. Erinnerungskultur lasse sich allerdings nicht nur auf die Gedenktage beschränken. Das unterstreiche auch die neue zehnteilige Kampagne der Volkswagen Group Heritage.
Unter dem Motto „Jeder ist jemand“ bildet das Unternehmen die Lebensgeschichte von zehn Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in kurzen Videos ab. Da ist beispielsweise der 13-jährige Moshe Shen. Die Mutter des ungarischen Juden wurde von den Nazis qualvoll ermordet.Oder die polnische Jüdin und ehemalige Zwangsarbeiterin Sara Frenkel, die inzwischen 101 Jahre alt ist. Ihre ganze Familie wurde durch die Nationalsozialisten ausgelöscht. Frenkel selbst setzt sich noch immer für Schwächere ein. Landenberger appellierte an die Besucherinnen und Besucher, die Videos gerne zu teilen, damit die Botschaft möglichst viele Menschen erreiche.„Hinter jeder Person steckt schließlich eine ganze Geschichte“, sagte Ruth Ur, Geschäftsführerin des Freundeskreis der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. „Yad Vashem“ bedeute auf Deutsch „ein Name – ein Mahnmal“. Im sogenannten „Raum der Erinnerungen“ befinden sich mittlerweile über 210 Millionen Dokumentenseiten, über 500.000 Fotografien sowie 4,8 Millionen Namen. „Es ist aber lange noch nicht alles entdeckt“, weiß Ur.
Dazu gehört auch die Geschichte vieler verschleppter Kinder. Eine Ausstellung im Bundestag setzt sich mit dem Thema „85 Jahre Kindertransport“ auseinander. Heinz Lichtwitz war eines der betroffenen Kinder. Nach dem Suizid seiner Mutter lebte der Junge zusammen mit seinem Vater und seiner Oma in Berlin-Charlottenburg. 1939 schickte ihn sein Vater jedoch zu einer jüdischen Familie nach Wales. „Wann kommt der Moment, in dem man solch eine Entscheidung treffen muss?“, fragte Ruth Ur in die Runde. Wer selbst Kinder hat, könne sich in etwa vorstellen, was das bedeute. „Er schickt sein einziges Kind nach Großbritannien, was er wahrscheinlich nie wiedersehen wird“, berichtet Ur. Alles, was dem Vater blieb, waren Postkarten, die er von seinem Sohn aus Wales bekam.
„Erinnerungsarbeit hat viele Facetten“, weiß Dieter Landenberger. Zu diesen gehöre auch die Kunst, wie eine Fotoausstellung des VW-Mitarbeiters und Informatikers Dr. Karl Teille beweist. „Die Fotos sollen Anker der Erinnerung sein, um Herz und Verstand gleichermaßen anzusprechen“, berichtete Teille. Fotografien sollen den Widerspruch zwischen der friedlichen Natur sowie den furchtbaren Verbrechen der Nationalsozialisten im Konzentrations- und Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau im polnischen Oswiecim darstellen. „Die Natur überwindet die brutale Gewalt, ohne die Vergangenheit auszulöschen“, erklärte er.
Laut Teille müssen jedoch die Entwicklungen der Gegenwart ernstgenommen werden, damit sich keine menschenverachtenden Ideologien bilden könnten. Er erinnerte an den 7. Oktober 2023, als die Hamas Israel angriff. „Die großen Demos am letzten Wochenende waren ein längst überfälliges und doch hoffnungsvolles Zeichen“, findet Karl Teille.Das unterstrich auch der Dieter Landenberger. „Es ist wichtig, für seine Werte einzustehen und sich zu Wort zu melden“, findet er. Dies gelte sowohl für den Einzelnen als auch für ein global agierendes Unternehmen, wie Volkswagen es sei. Mit dem Internationalen Ausschwitz Kommitee (IAK) betreibe das Unternehmen seit nunmehr 35 Jahren eine kontinuierliche Erinnerungsarbeit. Auszubildende des Konzerns hätten jedes Jahr die Möglichkeit, nach Ausschwitz zu fahren, um einerseits mehr über die Geschichte zu erfahren und andererseits die Gedenkstättenarbeit aktiv mitzugestalten.